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Up Topic Hauptforen / CSS-Forum / Match Capablanca-Marshall, Würdigung
- - By Kurt Utzinger Date 2012-08-12 14:42
Liebe Schachfreunde

Wie konnte es kommen, dass ein Neuling in der damaligen Schachszene,
nämlich José Raoul Capablanca, den stärksten und turniererfahrenen
Spieler der USA, Frank Marshall in einem Match des Jahres 1909 nicht
nur besiegen, sondern gar zerschmettern konnte. Die Beantwortung
dieser Frage hat mich schon lange gereizt. Deshalb habe ich alle
Partien genauer unter die Lupe genommen und auch kommentiert.

Bisher publizierte Partien

01) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?pid=48825
02) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?pid=48905
03) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?pid=49078
04) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?tid=4595
05) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?pid=49161
06) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?pid=49219
07) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?tid=4627
08) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?tid=4630
09) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?tid=4634
10) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?tid=4656
11) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?tid=4665
12) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?tid=4699
13) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?pid=50252
14) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?pid=50479
15) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?pid=50495
16) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?tid=4766
17) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?tid=4773
18) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?tid=4780
19) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?pid=50693
20) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?tid=4792
21) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?tid=4805
22) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?tid=4812
23) http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?pid=51166

Meine Hoffnung, dass zu den kommentierten Partien ein reger
Gedankenaustausch stattfinden könnte, hat sich nicht erfüllt.
Nur ganz wenig Resonanz lässt sich feststellen, wobei sich vor
allem Thomas Hall mit fruchtbaren Gedanken und Analysen zu Wort
gemeldet hat. Vielen Dank dafür an ihn und den wenigen, übrigen
Schreibenden.

Fazit des Matches aus meiner Sicht

Vorab der für die damalige Schachwelt überraschend einseitige
Matchverlauf:

Code:
m
New York, 1909.04.19 - 1909.06.23
                    Age Nat    Score     12345678901234567890123
-----------------------------------------------------------------
1: Capablanca, Jose 20 CUB  15.0 / 23   =1==1101==111=========1
2: Marshall, Frank  31 USA   8.0 / 23   =0==0010==000=========0
-----------------------------------------------------------------
23 games: +5 =14 -4


Der Wettkampf ging um 8 gewonnene Partien. Dafür brauchte
Capablanca lediglich 23 Partien in diesem Match, um mit
8-1 (total 15.0-8.0) zu gewinnen. Weiss hat 5 Partien
gewonnen, 14 Partien gingen Remis aus, und 4 Partien
endeten mit einem schwarzen Sieg.

Betrachtet man den Matchverlauf, darf wohl vermutet werden,
dass Frank Marshall von seiner Überlegenheit gegen den jungen
Capablanca überzeugt war und viel zu spät - nach der 13. Partie,
als er sich mit 1-7 bereits hoffnungslos im Rückstand befand -
realisierte, dass er einen mindestens gleichwertigen, wenn gar nicht
leicht stärkeren Gegner vor sich hatte. Hinzu kommt natürlich der
Umstand, dass Marshall mit seiner grundsätzlich [zu] optimistischen
Einstellung im Schachkampf gegen die gesunde Spielweise des jungen
Kubaners auf Granit stiess und kaum je dazu kam, "seine Stellungen"
aufs Brett zu kriegen. Wäre sich Marshall der Stärke seines Gegner
bewusst gewesen, wäre das Match vom Resultat her bestimmt viel
spannender verlaufen. Mit dem Messer an der Brust gelangten Marshall
von der 14. bis 22. Partie immerhin neun (9) Remis in Folge, wobei mehr
als einmal der Gewinn zu seinen Gunsten hätte ausfallen müssen. Trotzdem
scheint mir, dass Capablanca bereits zum Zeitpunkt dieses Matches etwas
stärker war als Marshall, denn nach seinem 7-1 Vorsprung nach Partie 13
meinte er wohl, der letzte Punkt falle ihm durch dumme Fehler seines
Gegners in den Schoss, was seinen Siegeswillen stark untergraben haben
dürfte. Was aber sicher ist: Capablanca hat in diesem Match mehr gute
Chancen als sein Gegner verpasst und sich auch als kreativer, nicht
trockener Spieler erwiesen, der zudem vor allem in gefährdeten Stellungen
in der Lage ist, sich äusserst zäh zu verteidigen. Diese Vorteile
hätten wohl auch genügt, einen objektiv agierenden Frank Marshall zu
schlagen.

Betrachten wir nun den resultmässig einseitigen Verlauf:

1.Partie Marshall-Capablanca, 1/2
Damengambit, Tarrasch-Verteidigung
Remis im im 30.Zug, ohne dass Weiss hätte Vorteil erreichen können.

2.Partie, Capablanca-Marhall, 1-0
Spanische Partie, Jänisches Gambit
Schwarz erhält eine gute Stellung, übersieht dann allerdings eine
taktische Feinheit und muss in ein verlorenes Endspiel einlenken.

3. Partie, Marshall-Capablanca, 1/2
Damengambit, Lasker-Methode
Mühelos erzielt Schwarz ein Remis, womit es Marshall zum zweiten
Mal nicht gelungen ist, mit Weiss etwas zu erreichen.

4. Partie, Capablanca-Marshall, 1/2
Spanische Partie, Steinitz-Variante
Mangels weissem Ehrgeiz kann Marshall ein verdientes Remis buchen.

5. Partie, Marshall-Capablanca, 0-1
Damengambit, Lasker-Methode
Infolge eines wahrscheinlichen Rechenfehlers muss Marshall eine
Figur für zwei Bauern bei schlechter Stellung geben. Sein Gegner
nutzt die Chance gnadenlos zum Sieg.

6. Partie, Capablanca-Marshall, 1-0
Spanische Partie
Nach einer ungenauen Eröffnungsanlage begeht Marshall durch
Öffnung der h-Linie Selbstmord, indem er dem Gegner erlaubt,
einen nicht abwendbaren, positionell untermauerten Angriff
durchzuführen.

7. Partie, Marshall-Capablanca, 1-0
Damengambit, Lasker-Methode
In der einzigen Gewinnpartie von Frank Marshall in diesem
Match wird Capablanca für einige seiner Ungenauigkeiten
zu Recht bestraft.

8. Partie, Capablanca-Marshall, 1-0
Spanisch, Steinitz-Variante
Dieses Mal ist es der junge Capablanca, der die Tempoverluste
des amerikanischen GM in der Eröffnung vorteilhaft bis zum
Gewinn ausnutzen kann.

9. Partie, Marshall-Capablanca, 1/2
Damengambit, Lasker-Methode
Ein glücklicher Ausgang für Capablanca, verpasst es Weiss doch,
im Endspiel den verdienten Sieg einzufahren.

10. Partie, Capablanca-Marshall, 1/2
Spanisch, Jänisches Gambit
Erneut wagt es Marshall, das Jänische Gambit 3...f5 zu spielen,
erhält auch eine annehmbare, ja gar leicht bessere Stellung,
verdirbt diese jedoch wieder und muss schliesslich froh sein
ums Remis, nachdem der Gegner eine gute Gewinnchance ausgelassen
hatte.

11. Partie, Marshall-Capablanca, 0-1
Damengambit, Lasker-Methode
Einmal mehr geht Marshall zu ungestüm zu Werk, verschmäht ausgleichende
Varanten, spielt unter Hergabe von Bauernopfern stattdessen ambitiös
auf Gewinn, scheitert jedoch an der präzisen Verteidigung seines Gegners.

12. Partie, Capablanca-Marshall, 1-0
Spanisch, Jänisches Gambit
Dieses Mal ist Weiss gegen die dynamische Eröffnungswahl seines Gegners
Marshall gut vorbereitet. Umgekehrt kann man das nicht sagen, und so
geht Schwarz sang- und klanglos unter.

13. Partie, Marshall-Capablanca, 0-1
Damengambit, Lasker-Methode
Auch wenn Capablanca mit seiner bislang erfolgreich erprobten Lasker-
Methode des Damengambits nicht mehr als Ausgleich erzielen kann, ist
es Marshall, der unachtsam agiert und einfach die Qualität eintellt,
was ihm verdientermassen einen weiteren Nuller einbringt.

14. Partie, Capablanca-Marshall, 1/2
Spanisch, Steinitz-Variante, Siesta Abspiel
Spielend erzielt Schwarz aus der Eröffnung heraus den Ausgleich,
ein leichter Fehlgriff im 20...Zug wird aber von Weiss nicht konsequent
genug beantwortet, so dass Marshall leicht den Remishafen ansteuern kann.

15. Partie, Marshall-Capablanca, 1/2
Damengambit, Lasker-Methode
Am Schluss steht ein ausgeglichenes Damenendspiel auf dem Brett und
das Remis wurde vereinbart. Die Partie hätte aber auch anders ausgehen
können, nachdem Weiss den möglichen, kleinen Vorteil verpasste, später
gar einen Fehler begeht, der allerdings nicht bestraft wurde.

16.Partie, Capablanca-Marshall, 1/2
Spanisches Vierspringer-Spiel
Ohne Ambitionen spult Capablanca die Eröffnung herunter und gewährt auf
diese Weise dem Gegner gar eine leicht vorteilhafte Stellung. Statt mit
17.c4 den Ausgleich anzustreben, führt die gewählte Fortsetzung 17.Sd2
zu einem Minusbauer. Im Doppelturmendspiel mit ungleichfarbigen Läufern
lässt sich Marshall später aber einen möglichen Gewinn entgleiten.

17. Partie, Marshall-Capablanca, 1/2
Spanisches Vierspringer-Spiel
Die Kontrahenten scheinen Gefallen am Vierspringer-Spiel gefunden zu
haben und spielen mit vertauschten Farben. Nach einer starken Vorstellung
von Marshall hätte dieser die Früchte seiner Arbeit pflücken können, doch
im schwierigen Springer-Endspiel vergeigt er die Gewinnstellung noch zum Remis.

18. Partie, Capablanca-Marshall, 1/2
Spanisches Vierspringer-Spiel
In einer beidseitig friedfertig geführten Partie ergibt sich das logische
Remis.

19. Partie, Marshall-Capablanca, 1/2
Damenbauerspiel
Die zahme Eröffnungwahl von Marshall vermag seinen Gegner aber ebenso
wenig zu grossen Taten zu verleiten. Die fade Partie endet deshalb im Remis.

20. Partie, Capablanca-Marshall, 1/2
Russische Verteidigung
Mit der damals noch selten gespielten Russischen Verteidigung gelingt es
Marshall, in Vorteil zu kommen. Gerade in jenem Moment jedoch, wo ein
chancenreicher Gewinnversuch angesagt war, gibt sich Schwarz mit Remis
durch Zugwiederholung zufrieden.

21. Partie, Marshll-Capablanca, 1/2
Damengambit, Lasker-Methode
Eine von beiden Seiten gut gespielte Partie mündet nach interessantem
Mittelspiel am Ende in ein remisliches Turmendspiel.

22. Partie, Capablanca-Marshall, 1/2
Russische Verteidigung
Das neunte Remis in Folge, nachdem es Marshall mit seiner Russischen
Verteidigung wieder gelungen war, leichte Vorteile zu erspielen. Im
kritischen Moment wagte er es allerdings nicht, auf Gewinn zu spielen
und gab sich mit Remis zufrieden.

23. Partie, Marshall-Capablanca, 0-1
Damengambit, Tarrasch-Verteidigung
Welche Wohltat: Capablanca verzichtet auf die Lasker-Methode im
Damengambit und wählt stattdessen die Tarrasch-Variante, mit der
er bereits in der zweiten Partie erfolgreich war. Und erneut
vermag Marshall keinen Vorteil zu erreichen, im Gegenteil hat
er einen Kampf gegen die schwarze Bauernmehrheit am Damenflügel
zu führen, den er nach mehreren Ungenauigkeiten tatsächlich auch verliert.

Freundliche Grüsse
Kurt
Parent - - By Peter Krug Date 2012-08-12 20:20
Hallo Kurt,

Vielen Dank für deine sehr spannende Dokumentation und Analyse zu den Capablanca - Marshal Partien.
Eine beachtliche Leistung.

Warum sich nicht viele analytisch beteiligt haben, liegt bei nicht wenigen daran, dass es an Zeit mangelnd.

Das Interesse daran in diesem Forum (denke auch an die vielen, die hier nur mit lesen, aber nicht schreiben) sicherlich groß.
Ich werde mir das alles abspeichern und in Ruhe - wenn die Zeit da ist, ansehen.

(P.S.: ich schaffe es momentan nicht, jeden Tag 15 Minuten ins Internet zu schauen)

Vielen Dank!

Peter
Parent - By Kurt Utzinger Date 2012-08-12 22:01
[quote="Peter Krug"]
Hallo Kurt,

Vielen Dank für deine sehr spannende Dokumentation und Analyse zu den Capablanca - Marshal Partien.
Eine beachtliche Leistung.

Warum sich nicht viele analytisch beteiligt haben, liegt bei nicht wenigen daran, dass es an Zeit mangelnd.

Das Interesse daran in diesem Forum (denke auch an die vielen, die hier nur mit lesen, aber nicht schreiben) sicherlich groß.
Ich werde mir das alles abspeichern und in Ruhe - wenn die Zeit da ist, ansehen.

(P.S.: ich schaffe es momentan nicht, jeden Tag 15 Minuten ins Internet zu schauen)

Vielen Dank!

Peter
[/quote]

Hallo Peter

Die Partien stehen auf meiner Homepage zum
Download bereit wie folgt:

http://www.utzingerk.com/capablanca_marshall.pgn

Gruss
Kurt
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