Also bei Dir blicke ich nicht recht durch, wie Du mit der Schizophrenie klarkommst, in einigen Partien die Engine zu benutzen und in anderen nicht. Ich meine, wie Du es konsequent schaffst, der Versuchung zu widerstehen, in den "menschlichen" Partien nicht doch mal mit einem Auge zu schauen, was die Engine da so rechnet. Ist sie auch der Meinung, dass Du besser stehst, dass nichts Entscheidendes droht etc.? Aber ok, nicht mein Problem...
Ich komme in Berlin - u.a. durch meine Tätigkeit als Schachverleger und Schachhändler - sehr viel mit verschiedensten Schachspielern zusammen und erfahre immer wieder, dass sie in angeblich engine-freien Partien plötzlich von keulenartigen Gegenzügen erschlagen werden, obwohl der Gegner doch eigentlich nur 1600 DWZ oder weniger hat. Das sind Züge, die lange vorher geplant sein müssen, weil sonst die ganze Variante nichts taugen würde. Das gibt dann schon zu denken. Ich kann diese Schachfreunde nur bedauern und respektiere ihre Haltung, die letztlich dahin zielt, dass ihnen im Zweifelsfall das Ergebnis nicht so wichtig ist wie der Erkenntnisgewinn. Typischerweise spielen diese Schachfreunde Fernschach nur zur Ergänzung und Verbesserung ihres Nahschachs.
Ich möchte aber auf einen Irrtum hinweisen, den Du mit Deinem Kommentar vielleicht produzierst, wenn Du sagst:
Zitat:
Durch die starken Engines gibt es dann aber doch für meinen Gegner die Möglichkeit den Mattangriff abzuwehren und ich muss mich am Ende mit Remis zufrieden geben. Der halbe Punkt ist schon ärgerlich genug , aber bei der neuen Regel würde ich nur 0,25 Punkte erhalten.
Du bekommst sehr wohl einen 1/2 Punkt, wenn Dein Remis auf einem gewissen Stellungsgleichgewicht beruht. Das kann eine Festung (z.B. Turm und Bauer gegen Dame) oder eine beiderseitige Zugwiederholung sein (schließt Dauerschach mit ein) oder es können auch beliebige Materialvertelungen sein, bei denen weder ein Patt noch eine Abwicklung zur völligen Beraubung des gegnerischen Königs forcierbar ist.
Das einzige, was nicht funktioniert, ist ein willkürlicher Angriff, der auf reinen Spekulationen unter Verletzung des Stellungsgleichgewichts beruht. Wenn dort nämlich der Gegner zu Recht zurückschlägt und sich einen handfesten Vorteil erarbeitet, dann wüsste ich nicht, warum das nicht belohnt werden sollte. Verdient brillante Verteidigung nicht den gleichen Respekt wie brillanter Angriff? Am Ende soll einfach die Leistung belohnt werden, und was soll man dafür anderes nehmen als die Endstellung auf dem Brett?
Jemand meldete gestern auf der englischsprachigen ChessBase Seite ganz verzückt, wie sich Weiß in der folgenden Stellung nach einem schweren Patzer des Schwarzen ins Patt rettete, und er meinte, das sei mehr als einen 1/4 Punkt wert:
E. Pähtz - J. Srbis, Mitropacup 21.6.2015
Schwarz zog:
56. ... Rf4?? statt z.B. das naheliegende und simple 56...Df5+ (es gibt noch stärkere Züge, aber wenn ich in Zeitnot bin, was ich hier mal annehme, dann wähle ich einen einfachen übersichtlichen Weg)
Es folgte natürlich
57.Rc7+ Was soll Weiß sonst schon machen?
57...Rf7 (Auch 57...Kh6 verhindert nicht den Pattangriff.)
58. Rxf7+ Kxf7 59. Qd5+ Ke8 60. Qf7+
Kxf7 patt 1/2-1/2Weiß wurde hier in einer völlig verlorenen Stellung nahezu zum Patt gezwungen. Jeder 1500er, der das Pattmotiv kennt und sich in dieser Stellung mit dem König auf h3 befindet, würde genauso seine allerletzte Chance gesucht haben. Nur Schwarz hat nicht daran gedacht, weil er bzw. sie nur das Matt im Sinn hatte.
Weiß dürfte hier froh sein, noch einen 1/4 Punkt zu retten nach dem Blackout von Schwarz. Warum man Weiß hier mit einem 1/2 Punkt belohnen soll, erschließt sich mir nicht auf logische Weise. Es ist eine reine Geschmacks- bzw. Wertentscheidung, wenn man dies entsprechend den geltenden Regeln bevorzugt. Nach den in England bis zum 18. Jahrhundert geltenden Regeln hätte Schwarz hier sogar verloren, weil Pattsetzen als grobe Ungeschicklichkeit mit einer 0 bestraft wurde. Auch das war natürlich eine Wertentscheidung, die mit Logik nichts zu tun hat, sondern nur zeigt, wie wandelbar Werte sind...