Liebe Schachfreunde
Wer die WM-Partien 1927 zwischen Capablanca und Alekhine nur
oberflächlich anschaut, dem wird es ob des fast ausschliesslich
und beidseitig zur Anwendung gelangenden Damengambits
fast schlecht. Trotzdem kann bei genauerem Studium der Partien
von Langeweile keine Rede sein. Also Grund genug, sich mit diesem
Wettkampf etwas genauer zu beschäftigen.
Die 5. Partie endet Remis. Dafür musste Alexander Alekhine aber
kämpfen und genau spielen. Erstaunt haben mich die mir vorliegenden
oberflächlichen Kommentare zur Partie. Mir ist es glaube ich gelungen,
einige Verbesserungen und bislang nicht bemerkte Feinheiten aufzuzeigen.
Dies trifft insbesondere auch auf das Turmendspiel zu.
Stand nach 5 Partien: 2,5 : 2,5
Die Partie wie üblich unkommentiert zum Nachspielen und separat zusätzlich kommentiert.
Mfg
Kurt
Bisherige Partien:
Game 1:
http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?tid=5902Game 2:
http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?tid=5904Game 3:
http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?tid=5909Game 4:
http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?tid=5915Schluss-Stellung nach 42.Kc3
Event:
Ort:
Datum:
Weiss:
Schwarz:
Ergebnis
Board
[Event "Wch-03"]
[Site "Buenos Aires"]
[Date "1927.09.27"]
[Round "5"]
[White "Capablanca, Jose"]
[Black "Alekhine, Alexander"]
[Result "1/2-1/2"]
[ECO "D51"]
[EventDate "1927.09.28"]
[PlyCount "83"]
[Annotator "Utzinger,K"]
1. d4 d5
{Mit einfachen Mitteln gelingt es Capablanca, ein vorteilhaftes
Turmendspiel zu erhalten, das mit dem von Alekhine angegebenen 29.Ke2!
(statt 29.c4?) gute Gewinnchancen geboten haette (Euwe/Prins).}
2. c4 e6 3. Nc3 Nf6 4. Bg5 Nbd7 5. e3 c6 6. a3
{Zu diesem Zug gibt es verschiedene, gegensaetzliche Kommentare
(Utzinger,K). Diese Art, die Cambridge-Springs-Verteidigung zu
vermeiden, scheint gut angebracht. Spaeter laesst sich jedoch Weiss
die konsequente zentrumsaufstellung entgehen (Alekhine,A). Diese
Fortsetzung schaltet zwar die Cambridge-Springs-Verteidigung voellig
aus, droht aber einem Tempoverlust nahe zu kommen (Euwe,M). }
6. ... Be7
{Keinen Zweck hat 6...Da5 wegen b2-b4, jetzt oder spaeter (Euwe,M).}
7. Nf3 O-O
{Die einfachste Methode zur Befreiung der schwarzen Stellung bildet
hier 7...Se4 oder auch 7...h6 8.Lh4 Se4 mit Uebergang zur
Lasker-Variante. Der Zug a2-a3 leistet gerade in diesem Falle nicht
viel (Euwe,M).}
8. Bd3
{Hier war 8.Dc2 nebst Td1 die logische Fortsetzung, wonach Schwarz
erfahrungsgemaess mit weit groesseren Schwierigkeiten zu kaempfen hat
(Alekhine,A). }
8. ... dxc4
{8...h6 ist von zweifelhaftem Wert wegen 9.Lf4 (Euwe,M).}
9. Bxc4 Nd5 10. Bxe7 Qxe7 11. Rc1
{Auch nach 11.Se4 S5f6, 12.Sg3 c5 hat Schwarz leichtes Spiel
(Utzinger,K).}
11. ... Nxc3 12. Rxc3 e5
{Es steht die Normalstellung des orthodoxen Damengambits auf dem Brett
mit dem Unterschied, dass Weiss a3 statt die Rochade gespielt hat. Das
sollte eigentlich eher fuer Schwarz sprechen (Utzinger,K).}
13. dxe5 Nxe5 14. Nxe5 Qxe5 15. O-O
{Mit Zugumstellung ist eine bekannte Position entstanden, in welcher
Weiss statt der ueblichen Fortsetzungen Db3/Lb3 oder f4 den
anscheinend harmloseren Zug a3 gemacht hat. Wie jedoch der Verlauf
dieser Partie zeigt, enthaelt dieser Zug viel mehr Gift, als man
annehmen sollte. Schon der naechste Zug des Nachziehenden traegt der
Bedeutung von a2-a3 nicht genuegend Rechnung (Alekhine,A). Nur deshalb
eine zutreffende Bemerkung, als natuerlich jede harmlose Variante zu
Gift werden kann, wenn man unsachgemaesse Zuege ausfuehrt. Jedenfalls
kein Beweis fuer die Guete von 6.a3 (Utzinger,K).}
15. ... Be6
{? Dieses plausible Tauschangebot ist hier unangebracht und haette
durch Lf5! ersetzt werden sollen. Ich verwarf diesen Zug wegen der
moeglichen Folge 16.Db3 De7 (auf b5 bzw. b6 folgt Ld3 mit Vorteil fuer
Weiss) 17.e4!?, da nun Weiss sowohl nach 17...Dxe4 als auch nach
17...Lxe4 durch 18.Db7 bzw. 18.Te3 in Vorteil gekommen waere. Aber
nach dem einfachen Rueckzug 17...Lg6 waere die momentane Absperrung
dieses Laeufers durch die rasche Besetzung der offenen Linie durch die
schwarzen Tuerme und die durch das Vorgehen des weissen e-Bauern
hervorgefufene Schwaechung der schwarzen Felder reichlich ausgewogen
gewesen. Nach dem Textzug kommt dagegen Weiss allmaehlich in starken
Positionsvorteil (Alekhine,A).}
16. Bxe6 Qxe6 17. Rd3 Qf6
{Durch dieses Manoever erzwingt Schwarz wenigstens den Abtausch eines
Turmpaares. Andernfalls haette die Triplierung der weissen Tuerme auf
der d-Linie unter Umstaenden noch unangenehmer werden koennen
(Alekhine,A).}
18. Qb3 Qe7
{Houdini 3 bevorzugt 18...b6 und gibt bei Suchtiefe 29 eine Bewertung
von +0.20 aus. Meines Erachtens sind die Unterschiede zum Textzug
vernachlaessigbar (Utzinger,K).}
19. Rfd1 Rad8
{Natuerlich nicht 19...Tfd8? wegen 20.Dxb7 +- (Alekhine,A).}
20. h3
{Macht dem Koenig ein Luftloch auf (Utzinger,K).}
20. ... Rxd3
{Der b-Bauer war jetzt angegriffen. Auch nach 20...b6 21.Da4 haette
Schwarz die d-Linie auf die Dauer nicht behaupten koennen
(Alekhine,A).}
21. Rxd3 g6
{Auch der schwarze Koenig braucht ein Luftloch. Interessant, dass
Houdini 3 die m.E. "schlechtere" Wahl mit 21...h6 vorzieht. Falls der
Koenig in diesem Fall raus muss - nach h7 - dann bleibt jeweils der
f-Bauer ungedeckt, was in gewissen Varianen wichtig sein kann. Auf Kg7
bleiben hingegen beide Bauern, f7/h7 gedeckt und schliesslich ist auch
der Weg zum Zentrum kuerzer (Utzinger,K).}
22. Qd1 Qe5 23. Qd2
{Solche Stellungen sind fuer den Verteidiger schwierig, und die
mieisten Schachspieler waeren wohl nicht in der Lage, dem Druck eines
Capablanca standzuhalten (Utzinger,K).}
23. ... a5
{Das Entfernen der Bauern von der gefaehrdeten siebenten Reihe
verschafft dem Anziehenden in dem auf die Dauer kaum zu vermeidenden
Turmendspiel neue Anfgriffspunkte, war aber doch nicht recht zu
umgehen. So, z. B . scheitert der plausible Zug 23...Te8 an 24.Td7 Te7
(oder ...Db5, Dd4) 25.Td8+ Te8 (oder ...Kg7, Ta8) 26.Dd4! mit
Bauerngewinn (Alekhine,A). Eine lehrreiche Bemerkung, auch wenn die
kaltbluetigen Computerprogramme meinen, dass selbst 23...Te8 24.Td7
Te7 25.Td8+ Kg7 26.Ta8 a6 noch spielbar bleibt (Utzinger,K).}
24. Rd7 b5
{Noch schlimmer waere 24...b6, weil dann Weiss mittels 25.Tb7 Dc5
26.Dc3! gegenueber der Textfortsetzung ein Tempo gewinnen kann
(Alekhine,A).}
25. Qc3
{! Erzwingt den Damentausch, da 25...Te8 wieder an der Wendung 26.Td8
nebst Bauerngewinn scheitert und auch 25...De6 wegen 26.Tc7 nicht
angaengig ist. In dem nun folgenden Turmendspiel hat aber Schwarz
infolge seines geschwaechten Damenfluegels mit erheblichen
Schwierigkeiten zu kaempfen (Alekhine,A). Kann es sein, dass sich der
kuenftige Weltmeister hier irrt? Ich glaube ja, wie ich hoffe, mit
einer Variante im 26.Zug beweisen zu koennen (Utzinger,K).}
25. ... Qxc3 26. bxc3 Rc8
{Noch schwieriger haette sich die Lage des Nachziehenden nach 26...Te8
27.Tc7 Te6 gestaltet, da sich nach dem Heranbringen des weissen
Koenigs ins Zentrum und dem nachfolgenden Vorgehen der Bauern e und f
die Stellung des schwarzen Turms auf der 6. Reihe als prekaer erwiesen
haette (Alekhine,A). Diese Bemerkung ist richtig und falsch zugleich.
Richtig fuer die von Alekhine angegebene Variante, falsch in dem
Sinne, als sich Schwarz durch Hergabe eines Bauern besser verteidigen
und den Uebergang in ein Turmendspiel mit vier gegen drei Bauern am
Koenigsfluegel erreichen kann, das nach heutigen Erkenntnissen nicht
zu gewinnen sein wird (Utzinger,K).}
( 26. ... Re8 {Entgegen der Meinung von Alekhine die beste Antwort, um
nach} 27. Rc7 {mit } 27. ... Re4 {fortzufahren, was nach} 28. Rxc6 Ra4
29. Rb6 Rxa3 30. Rxb5 Rxc3 31. Rxa5 h5 {! zu einem Remis-Turmendspiel
fuehrt, weil es Schwarz gelungen ist, den wichtigen h-Bauern nach
vorne zu bringen, so dass schliesslich das fuer Weiss im Gewinnsinn
nicht vermeidbare g2-g4 mit h5xg4 beantwortet werden kann. Und diese
Art von Turmendspiel von 3 gegen 2 Bauern am gleichen Fluegel ist
Remis (Utzinger,K).} )
27. Kf1 Kg7 28. Ra7 a4 29. c4
{Diese Uebereilung gestattet dem Nachziehenden muehelosen Ausgleich.
Richtig war 29.Ke2 mit der Absicht, zunaechst die Aufstellung Be4 und
f4 und Ke3 einzunehmen. Auf 29...g5 waere dann g3 nebst f4, auf
29...h5 aber zunaechst h4 gefolgt. Bei der gelaehmten Stellung der
beiden schwarzen Figuren haetten sich dann weitere guenstige
Angriffsmomente von selbst ergeben (Alekhine,A). Mit dieser
grossmeisterlichen Empfehlung habe ich gut eine Stunde lang mit
Houdini 3 versucht, eine massgebliche Verbesserung der Stellung zu
erreichen. Leider ist mir das nicht gelungen, sind doch die schwarzen
Ressourcen der Verteidigung recht hoch. Jedenfalls duerfte sich ein
konkreter Gewinnversuch schwierig gestalten. Dass andere Autoren die
Meinung von Alekhine einfach uebernommen haben, ist nicht
ueberraschend (Utzinger,K).}
29. ... Kf6
{Nirgends wird die aktive Verteidigung mit 29...Tb8 gefolgt von b5-b4
erwaehnt (Utzinger,K).}
30. Ra5 Ke6
{Durch diese Gegenpointe, welche darin gipfelt, dass nach dem
doppelten Nehmen auf b5 der Bauer mittels Tc3 sofort zurueckgewonnen
wird, stellt sich Schwarz vollkommen sicher. Verfehlt waere dagegen
der Verteidigungsversuch 30...Tb8? wegen 31.Ta6! mit Bauerngewinn
(Alekhine,A). Hier ist 30...Tb8 schon weniger klar, aber vielleicht
noch immer moeglich. Ich verzichte auf eine Analyse (Utzinger,K).}
31. Ke2 bxc4 32. Rc5
{Ebenfalls im Gewinnsinne chancenlos waere 32.Txa4 wegen 32...Kd5
33.Ta7 Tb8, usw. (Alekhine,A).}
32. ... Kd6 33. Rxc4 Ra8 34. Rd4+ Ke6 35. Kd3 c5 36. Rh4 h5 37. g4 hxg4
38. Rxg4 Kd6 39. Rf4 f5 40. Rh4 Kd5 41. Kc2 Ra6 42. Kc3 1/2-1/2