Lieber Herr Brenner,
danke für Ihre ausführliche Antwort und die
Bereitschaft zur Diskussion.
Mit der Antwort habe ich mir Zeit genommen, weil
es nicht nur etwas schnell Hingeschriebenes werden,
sondern Hand und Fuss haben soll.
Frank Brenner schrieb:
vielleicht ist die Multiplikativität nicht exakt,
sondern nur Näherungsweise eine Eigenschaft die ein
Spiel mit großer Güte oder mit geringer Güte haben kann.
So ist es.
Frank Brenner schrieb:
Das Fußballspiel ist ein Beispiel das lediglich schwach
transitiv ist, aber so gut wie gar nicht multiplikativ.
Fussball ist auch als Vergleich zum Schach gar nicht so
schlecht, weil es dort statt Weiss und Schwarz eben
Heim- und Auswärts-Spiele gibt.
Zitat:
ich habe nun versucht das Schachspiel etwas zu vereinfachen:
- es gibt immer noch zwei Farben
- weiß beginnt
- jeder Spieler hat in seinem Zug beliebig viele Züge zur Auswahl.
- mit jedem zug vergrößert oder verkleinert sich der Wert der
Stellung für den am Zug befindlichen Spieler um einen bestimmten
Betrag.
- Sobald der Wert der Stellung sich für den am Zug befindlichen
Spieler nach seinem Zug einen Grenzwert (K) erreicht (zb K= 50),
hat der Spieler gewonnen.
Ja, das ist eines der Standard-Vereinfachungs-Modelle: Man nimmt
das Spiel als "Random Walk" an, wobei die Schritte abwechselnd ein
A- und ein B-Schritt sind. A und B stehen dabei für die Spieler.
Zitat:
Alle Spieler sind fehlerbehaftet und vergrößern den Wert der
Stellung durch ihren Zug um einen festen Wert der sich aus
der Spielstärke des Spielers ergibt und zusätzlich noch um
einen zufälligen, normalverteilten Zufallswert mit Erwartungswert
0 und Standardabweichung S (z.B S = 30)
Der Wert der Stellung kann also durchaus durch einen Zug auch
schlechter werden.
Beispiel: Drei Spieler A,B und C:
A: 3 + N(0,30)
B: 8 + N(0,30)
C: 35 + N(0,30)
Spieler C ist also der mit Abstand beste Spieler. Er vergrößert
den Wert seiner Stellung in jedem Zug um 35 plus N(0,30).
Vereinfachte Modelle sind immer hilfreich.
Aber Schach ist natürlich nicht so uniform wie dieses Random-Ralk-
Spiel: Es gibt Schach-Stellungen, wo ein Spieler massive Fehler
begehen kann, und andere ruhige Stellungen, wo es nur um Kleinig-
keiten geht.
Aktienkurs-Modellierungen arbeiten auch oft mit Random Walks.
Dort werden aber immer auch "Levy-Sprünge" zugelassen, um
grosse Momentan-Änderungen zu modellieren.
Zitat:
Eine Simulation mit jeweils 1 Mio Partien ergibt folgende Scores:
A vs B: 398024 : 601976 -> Faktor 1,51241131188069
B vs C: 96361 : 903639 -> Faktor 9,37764240719793
Nach der Regel der Multiplikativität müsste für A vs C jetzt
der Wert von 1,51241131188069 * 9,37764240719793 = 14,1828524554182
herauskommen
Tatsächlich wird in der Simulation folgender Wert erzielt:
A vs C: 65751: 934249 -> Faktor 14,2088941613055
Vorhersagefaktor und beobachteter Faktor bei A vs. C liegen
also nahe beieinander.
Frage an der Stelle: Wie handhaben Sie es mit den Startspielern,
etwa immer abwechselnd?
Ihr Modell-Spiel ist immer noch so kompliziert, dass Sie die
Siegwahrscheinlichkeiten mit Monte-Carlo-Simulationen
annähern müssen, statt sie exakt ausrechnen zu können.
Bei meinen Untersuchungen bin ich zu noch viel viel kleineren
Spielen übergegangen, wo ich die exakten Chancen der Spieler
ausrechnen konnte.
Zitat:
Es ist also ziemlich genau Multiplikativ
"ziemlich genau" ist eine Umschreibung für "nicht genau",
was es wahrscheinlich ehrlicher beschreibt.
Zitat:
Wenn ich jetzt die Spielstärke der drei Spieler, also 3,8,35,
verändere so bleibt da Ergebnis so einigermaßen Multiplikativ.
Beträgt die Spielstärke 2,5 und 11 so ergibt sich
A vs B Faktor 1,5189361021479
B vs C Faktor 2,30029735679185
A vs C: 3,48080869635352
3.4808 ... ist so ziemlich genau das Produkt von
1,518936.. * 2,3 ... = 3,49400470090652
Waren das auch wieder je 1 Million partien?
Zitat:
Bei geringeren Spielstärkeunterschieden ist die Genauigkeit
der Multiplikativität größer.
Zustimmung.
Zitat:
Interessanterweise verschwindet die Multiplikativität wenn
die unterschiedlichen Spieler unterschiedliche Fehlerterme
bekommen, also zb
A: 3+ N(0,30)
B: 5 + N(0,40)
C: 8 + N(0,30)
A vs B: Faktor 1,22929155343723
B vs c: Faktor 1,36085141745519
A vs C: Faktor 1,99567125503647
rechnerisch müsste bei A vs C lediglich 1,67288315296075 herauskommen
1,67288315296075 =1,22929155343723 * 1,36085141745519
Sehr gut beobachtet. Und so etwas könnte auch bei der Modellierung
von Schachspielern Sinn machen. Arkadij Naiditsch würde ich z.B.
einen grossen Rauschwert geben, und Matthias Blübaum einen kleinen.
Und die Abweichung von der Multiplikativität ist in Ihrem
Beispiel ja wirklich massiv.
Eine Frage kommt mir direkt in den Sinn:
Wie gross kann die Abweichung von der Multiplikativität werden,
wenn man 6 parameter freigibt:
2 <= S_A < S_B < S_C <= 10
und
N_A, N_B, N_C zwischen 20 und 50 ?
Wenn ich raten müsste, würde ich an Settings mit N_A = N_C = 20
und N_B = 50 denken, oder umgekehrt, also extreme Rauschparameter.
Und vielleicht S_A = 2, S_C = 10 und S_B genau auf "multiplikativer Mitte".
Zitat:
Aber immerhin: Bei gleicher fehlerstreuung der Spieler ist
dieses Spiel zwar nicht exakt Multiplikativ aber zumindest
mit großer Güte.
Ich würde mich über eine Fortsetzung des fruchtbaren
Austausches freuen. Gerne auch zunächst als Email-Wechsel:
ingo.althoeferELOuni-jena.de
Das kann von mir aus gerne auch der Anfang einer gemeinsamen
Untersuchung werden, wo am Ende ein gemeinsames paper steht.
Ingo Althöfer.