Lieber Herr Mader,
danke für Ihr Posting und Ihre Toleranz.
Andreas Mader schrieb:
ich kann ihre Begeisterung für KIs verstehen, aber
leider nicht nachvollziehen. Ich kenne noch das Gefühl, als ich das erste
Mal gegen einen Schachcomputer gespielt habe, wie faszinierend das war ...
1975 wurde ich mit 14 Jahren Mitglied im örtlichen Schachclub.
Im Herbst 75 lagen plötzlich einige Probehefte der Zeitschrift
"Schach-Echo" auf den Tischen. In einem davon stand ein Bericht
über ein Computerschach-Turnier an der Uni Dortmund. Den habe
ich sofort verschlungen, es war wohl mein erster Computerbericht
überhaupt. Ich hatte noch nicht mal einen Taschenrechner.
Im Sommer 1977 erfuhr ich von dem Buch "Chess and Computers"
von David Levy. Sofort in die beste Buchhandlung unserer Kleinstadt
und bestellt. Der Buchhändler hat mich mit 42,- DM [sic!] dick bezahlen
lassen. Als ich das Buch abholte und über den Marktplatz nach Hause
ging, stand da plötzlich eine Mitschülerin. Smalltalk, und dann ihre
Frage, was ich denn in der Buchhandlung gemacht hätte. Da habe ich
stolz das Levy-Buch aus der Tasche gezogen. Sie bekam ganz große
Augen: "Das ist ja auf Englisch. Kannst Du das denn überhaupt lesen?"
Ich: "Natürlich, außerdem habe ich ein Englisch-Deutsch-Langenscheidt."
Dann habe ich das Gespräch rasch beendet, weil ich endlich zu Hause
mit dem Lesen beginnen wollte. (Mädchen haben mich Döspaddel damals
noch nicht so interessiert. Ich denke, an dem Nachmittag hätte ich sie
mit guten Chancen anbaggern können.)
[Warum der hohe Preis? Der Buchhändler hatte direkt zwei Exemplare
des Buchs geordert. Vielleicht hatte er meine Begeisterung gespürt.
Das zweite wurde er aber nicht los, und irgendwann lag es für 5 DM
in der Grabbelkiste vor dem Laden.]
Als Mathestudent in Bielefeld war Computerschach immer in meinem
Hinterkopf, und direkt nach dem Tag der letzten Diplomprüfung ersann
ich das 3-Hirn-Prinzip. Promotion 1986 über Spielbaum-Modelle, und
Habilitation 1991 über Fehlerfortpflanzung in Spielbäumen und allgemei-
neren Rekursionsbäumen. Ein externer Gutachter im Habilverfahren war
Prof.
Judea Pearl aus Kalifornien. In den 1980ern hatte Pearl auch über
Fehlerfortpflanzung in Spielbäumen gearbeitet und (wichtiger) das
Komzept "
Networks of Belief" entwickelt. Dadurch kann man ihn als
einen der Väter der künstlichen neuronalen Netze sehen. 2012 bekam
Pearl den Turing-Preis für sein wissenschaftliches Gesamtwerk.
Diese Vorgeschichte ist einer der Gründe, warum ich ChatGPT so
spannend finde. Außerdem gehe ich ziemlich bald in Ruhestand. Um
da nicht in ein Loch zu fallen, bin ich im letzten Sommer in zwei Literatur-
kreise eingestiegen (einer online, der andere real in Lippe) und schreibe
da regelmäßig. Und - Sie ahnen es - für Schreiber ist ChatGPT noch viel
interessanter als für Ingenieure oder Mathematiker. Das ich - aus einem
Zufall heraus - jetzt auch noch Lehrerkollegien in ChatGPT und Co
schulen darf, steigert meine Begeisterung nur. Als angehender Ruheständler
habe ich jedenfalls volles Programm in Aussicht.
Insbesondere möchte ich dabei sein, wenn der
"Turing Point" erreicht wird.
Den Begriff hat Pedro Domingos 2015 eingeführt. Er bezeichnet damit den Moment,
wo Computerprogramme genau so intelligent wie wir Menschen sein werden.
****************************************
Was die Zukunft von ChatGPT hier im Forum angeht, möchte ich
es erst noch reifen lassen. Überstülpen werde ich das Thema aber
niemandem. Meine Threads werde ich immer so kennzeichnen, dass
Unwillige (und alle anderen auch) schon am Titel merken, dass es
um ChatBots geht.
Herzliche Grüße,
Ihr Ingo Althöfer.