Hallo Marcus,
so viel Stoff um zu antworten ...
Beginnen wir mal mit genannten Namen ...
1. Helmut Conrady
Am Anfang habe ich Helmut eher belächelt. Die Endspieldatenbanken kamen ja nicht von den kommerziellen, es waren die ersten Winboard Engines, die vernünftig Nalimov nutzen. Ja, ja die gehassten Winboard Engines die alles miteinander kompatible machten ... der Alptraum für die kommerziellen. Es waren die Amateure, die das Thema voran getrieben haben. In vielen meiner Berichte hierzu fand ich dann gleiche Kommentare später von Helmut. Viele Amateure diskutierten spannend über aggressive und weniger aggressive Nutzung der Endspieldatenbanken in der Suche. Meines Erachtens das Hauptthema seinerzeit. Aber im weiteren Verlauf habe ich Helmut eher bewundert. Er beschäftigte sich in der Tiefe mit dem Thema und spezialisierte sich. Seine Feststellungen später waren sehr fundiert und ich habe Helmut mehr und mehr immer lieber gelesen. Im Grunde war es Wolfgang Delmare der so richtig animierte mit CheckCheck. Lange Zeit bevor dann bei den WB Engine die ersten Nalimov umsetzen bzw. die besseren TBs einsetzten. Auch Stefan Meyer-Kahlen hat sich damit beschäftigt, der MChess Programmierer. Aber letztendlich kamen die innovativen Ideen von den Amateuren, wie so viele andere Dinge in Winboard Zeiten. Selbst langweilte mich das Thema mehr und mehr, zumal die TBs im Grunde für mich nie mehr waren als lange Endspielketten zu vermeiden. Heute eher eine nervige Schmalzfliege, denn einige Amateure vergessen das Endspiel und vertrauen auf die Endspieldatenbanken. Nur ein schwaches Endspiel wird nicht durch Tablebases kompensiert. Rahman Paidar hat das seinerzeit sehr schön dargestellt. Ktulu war mal die Nummer 4 in der Welt um im Endspiel wahrscheinlich die Nummer 1 und das ohne Endspieldatenbanken zu nutzen. Reines spielen aus Datenbanken lehne ich ab bzw. sagte immer erste wenn das Endspiel mich zufrieden stellt bringe ich TB-Nutzung dazu ... RICHTIG!!. Bei den Eröffnungszügen schaut es anders aus. Hier liegt der Schwachpunkt bei den Engines und die Eröffnungstheorie ist in der Tiefe kaum zu durchblicken. Gute Startpositionen für Eng-Eng zu finden ist eine echte Aufgabe. Bin ja wahnsinnig 25.000 neue Züge in mein Buch gleichzeitig zu bringen. Damit werde ich wieder von 100 Partien 2-3 schlecht bewertete drin haben die ich mit x Tausend eng-eng Partien rausfiltern muss. Aber letztendlich bleibt ein Ergebnis ... die optimalen Varianten sind gefiltert durch eng-eng Spiele. Fass ohne Boden ist die Theorie.
2. Ed Schröder
Ja, für Ed waren die Spielstile schon immer sehr wichtig. Viele sehr guten Ansätze und Kommentare hat er hierzu abgegeben. Er fragte mich kürzlich in TalkChess warum ich denke das Junior ... da fragt mich ein absoluter Experte zu dem Thema. Ed ist ziemlich enttäuscht über sein eigenes Programm. ProDeo spielt unspektakulär und ist 600 ELO hinten dran. Denke er ist noch nicht mal enttäuscht wegen den 600 Elo, sondern eher weil ProDeo nicht mehr durch aufregendes Schach begeistern kann obwohl das ja ein Aufhänger von ihm ist. Schaut man sich nun an welche Möglichkeiten er in ProDeo implementiert hat und was mit ProDeo alles möglich ist bricht Begeisterung aus. Er hat eigentlich keinen Grund enttäuscht zu sein aber hinsichtlich Spielstil hängt sein Programm in der Luft. Hoffe es packt ihm wieder so richtig und er versucht ProDeo wieder mehr ein eigenes Gesicht zu geben. Wenn es einer kann dann Ed. Glaube Ed macht es sich selbst zu kompliziert ... zu viel Wissen, stört sich gegenseitig??!
3. ChessTiger
Von dem Programmierer halte ich gar nichts. Viele große Worte und nichts dahinter. Niemals wird ein Amateur einen kommerzielles Programm auch nur annährend gefährlich werden sagte er mal, wobei immer seine eigene Arbeit hervorgehoben wurde. Auch er bezog Wissen von einer ganzen Reihe bekannte Leute (wie z. B. Ed Schröder oder dem Virtual Chess Team). ChessTiger hat auch ein richtiges schlechtes Buch, auch hier ... die Lorbeeren waren unberechtigt, hochgezüchtet ... einer schreibt das Buch ist gut und alle andere springen auf den Zug auf. Schon früher war es unmöglich für uns Programme zu bewerten die einfach überirdisch besser spielten als wir. ChessTiger spielte langweiliges Schach und keine Spur davon das Gambit-Tiger wirklich spürbar schöner spielte. Der Name war gut gewählt und das war es wenn ich seinerzeit verglichen haben mit wirklichen taktischen Bomben wie z. B. Gromit. Auch Fritz in früheren Versionen hatte wirkliche taktische Stärken oder auch Hiarcs und Junior bei den kommerziellen. Etliche bei den Amateuren aber ChessTiger? ChessTiger war für mich immer die unbedeutendste Entwicklung bei den Profis und als dieses Programm dann mal knapp auf Platz 1 war, war es nur eine Frage der Zeit bis andere vorbei zogen. Ich möchte nicht wissen von wem er alles das Wissen aufsaugte. ChessTiger spielte im Grunde ein besseres spätes Mittelspiel, das war das Geheimnis und dadurch wirkte die Engine seinerzeit sehr stark. Zu sagen ... niemals wird ein Amateur ... damit machte sich der Programmierer sehr unbeliebt aber es passte zu anderen Sachen die er so losgelassen hat.
Tempo keine Bedeutung ... ha, ha!
Das ist ein echter Aufhänger.
Klar hat Tempo eine Bedeutung. Tempo zu gewinnen und Drohungen aufzustellen ist der Aufhänger für aggressives druckvolles Spiel. Aus einem solchen Spiel entstehen die irrsten Zugfolgen. Passive Programme finden meist nur zufällig Kombinationen wenn etwas in der Suche, in der Luft liegt. Nicht zuletzt Menschen haben große Probleme damit wenn Programme immer wieder Drohungen aufstellen, wir verzetteln uns und das Programm spinnt sein Netz drum rum. Engines heute sind gefährliche Taranteln aber wir sind die Skorpione.
Nun ja, wir wissen heute ...
Schnelle Programme übersehen in der Tiefe mehr aber erreichen hohe Spielstärken. Oberflächlich spielen die schon weit über unseren Level. Ein Programm aggressiv wirken zu lassen ist wahrscheinlich sehr viel einfacher als früher geglaubt. Reines Schachwissen macht die Programme eher langsamer ist aber sicherlich notwendig um ein Programm den richtigen Weg zur aggressiven Spielweise aufzuweisen.
Ein großes Thema für mich ...
Warum sind aggressive Angreifer meist auch in der eigenen Königssicherheit gut bei vielen Figuren auf dem Feld. Warum ist hier z. B. Junior als aggressiver Angreifer eher bescheidener als z. B. Spark und Nirvanachess. Programme die für sich sehen, sehen auch gegen sich. Warum spielt Junior so oft spekulativ. Das geht nur mit irgend etwas speziellem! Amir muss ein Schlitzohr sein
Das Thema aggressive Programme geht unter bei den hohen Spielstärken, die viele Programme im Übergang zum Endspiel erreichen. Stockfish und Komodo wirken aggressiv weil die Grundspielstärke sehr hoch ist und in der Suche vieles gefunden wird. Bei so starken Programmen wird es schwierig auf der Suche nach besonderen Eigenschaften zu gehen. Aber schaue Dir Glaurung an. Da ist das Stockfish Wissen noch nicht eingegangen und das Programm spielt der Reihe nach gegen ca. gleichstarke Gegner +200 ELO inbegriffen die kurzen Siege heraus. Glaurung ... ein Programm ohne Endspielwissen erreicht seine Stärke bei vielen Figuren auf dem Feld. Spark ist vergleichbar, setzt oft noch einen drauf. Nirvanachess ist moderner, ist im Endspiel nicht so spielschwach wie z. B. Spark oder Glaurung. Interessant wird sein wo Nirvanachess sich hinsichtlich Spielstärke hinbewegt und ob der Stil gehalten werden kann. Eine neue sehr interessante Entwicklung !!
Kann also Deine Eindrücke nur bestätigen.
Programme entwickeln oft rein zufällig einen eigenen Stil, oftmals gar nicht bewusst so programmiert. Letztendlich liegt alles über unseren Horizont und die Suche ist richtig gut geworden. Stockfish sucht die Initiative, stellt auch immer wieder Drohungen auf und aus diesem Spiel heraus werden taktische Möglichkeiten einfach schneller gefunden. Da magst Du schon Recht haben, sind auch meine Eindrücke. So denken wir ... Stockfish ist von den super starken im taktischen Bereich überlegen. Ja, war so ... Komodo ist es mittlerweile auch.
Und hier setzt im Grunde auch das Problem bei der Betrachtungsweise "Spielstil" an.
Es ist schwierig überhaupt etwas zu Spielstilen herauszufinden.
Programmierer sollten versuchen ihren Programmen immer ein eignes Gesicht zu geben. z. B. Ktulu im Endspiel eine Macht. Rahmen schrieb mir mal ... so Frank, ich habe jetzt 70% bei den Turmendspielen nahe zu an der Perfektion getrieben. Das war sein Ding ... die Turmendspiele ... das hat ihn mehr interessiert als alles andere zusammen. Ktulu hat sein eigenes Gesicht! Interessanter als bei allen Engines die ultimative Jagd nach Elo zu suchen. So verlieren alle irgendwie nur herausragendes.
Nun was ist überhaupt noch ein Spielstil?
Ein berechtigter Einwand!
Aber schaue Dir mal die Tabellen auf meinen Seiten an.
Programme verhalten sich unterschiedlich zu den Phasen Mittelspiel / Endspiel und nach der Eröffnung. Programme wie Senpai oder Shredder sind taktisch anfällig. Programme wie Deuterium sind im Endspiel sehr gut.
Nur was für mich einfach ist ...
Zu sehen was passiert nach den Eröffnungszügen. Da sind die Programme schwach und Stärken heben sich hervor.
Was schwierig zu sehen ist ...
Das späte Mittelspiel ...
Hier die Unterschiede festzustellen ist nahezu unmöglich. Die Programme sind um Lichtjahre Menschen mit durchschnittlicher Spielstärke überlegen. Oft verstehe ich gar nichts wenn ich zusehe. Einfach wird wieder das Endspiel zu beurteilen. Und da die Spielstärke enorm gerade im späten Mittelspiel zugelegt hat, hier auch die meisten Partien entschieden werden, fast unmöglich etwas festzustellen.
Wer mir erklären kann wo sich Stockfish und Komodo im späten Mittelspiel unterscheiden ... das plausibel ... verdient einen Orden!
Doch es gibt den absolut besten Zug aber der ist selten. Hat Tarrasch das gesagt? Halbwahrheit ...
Es gibt den absolut besten Zug aber der ist eher selten, kommt oftmals in Partien gar nicht vor. Meist sind es wirklich mehrere gute Züge. Und wo es mehrere gute Züge gibt, gibt es Spieleigenschaften. Warum wird der gute Zug A und nicht B gespielt? Wiederholt sich das in vergleichbaren Stellungen oder nicht?! So lange wir noch über Spielstile spekulieren können, so lange können wir die Spannung aufrecht erhalten.
Jeder Mensch hat einen Stil. Programme spielen immer gleich und mithin ist auch hier ein Stil aus menschlicher Sicht ersichtlich.
...
Abschließend:
Wenn wir die Stärken kennen, können wir Programme für Analysen sehr viel spannender einsetzen. Wir müssen kein Programm zur Seite legen mit 2.750 Elo weil andere 3.100 Elo haben. Können das Programm mit 2.750 dort einsetzen wo herausragende Stärken zu sehen sind (Spark ist immer ein gutes Beispiel). Warum in offenen Stellungen nach den Eröffnungszügen auf Spark, Glaurung, Nirvana oder Junior verzichten. Ich nehme mir doch nicht selbst die Lust auf unser Hobby in dem ich absichtlich schöne Dinge nicht sehen will nur weil in Ratinglisten Zahlen zu sehen sind, die im Grunde nicht wirklich etwas aussagen hinsichtlich allen Spielphasen einer Schachpartie. 1-0, 0-1 und Remis ... ja wichtig für die Elo Berechnung aber daraus kann ich nicht wirklich etwas erkennen zum viel spannenderen Thema ... warum denn überhaupt diese Stärke erreicht wird.
300-400 Elo mehr können problemlos im späten Mittelspiel erspielt werden, das zeigen uns die Entwickler. Aber 300-400 Elo im frühen Mittelspiel liegen z. b. Stockfish und Spark nicht auseinander. Stockfish überrechnet viel, Spark könnte es sehen was Stockfish locker überrechnet ... wieder als Beispiel gedacht.
So meine Aussage ...
Beschäftigt Euch mit der Vielfalt vorhandener Programme als auf die Elo-Jagd zu gehen und die Schönheit beim Computerschach zu übersehen.
Ich hoffe das noch viele unterschiedlichen Programme uns begeistern und Programmierer versuchen Ihren Engines ein eigenes Gesicht zu geben. Ist es so wird es spätestens aus guten Statistiken ersichtlich werden. Wäre es nicht mehr so und ich würde gar nichts mehr erkennen, würde ich die Lust verlieren.
Gruß
Frank