Liebe Schachfreunde
In dieser typischen Capablanca-Partie zeigt sich einmal mehr, dass
der Ex-Weltmeister sich auch mit zweitbesten Zügen begnügt und
dass sein Gegner aus welchen Gründen auch immer nicht imstande
war, die entsprechend besten Antworten zu finden. Dieses Phänomen
lässt sich in nicht wenigen Partien des grossen Kubaners beobachten.
Mag sein, dass die üblicherweise schnelle Spielweise von Capablanca
mit normalen guten Zügen seine Gegner über Massen beeindruckten,
so dass diese allein dadurch dem Druck der technischen "Schach-
Maschine" in kritischen Phasen nicht standhalten konnten. Seiner auf
hohem Niveau erkennbaren Nachlässigkeit (oder gar Überheblichkeit?)
hatte es Capablanca zu verdanken, dass ihn Aljechin im WM-Match
von 1927 schlagen konnte. An und für sich bin ich der Meinung, dass
Capablanca der begabtere Spieler der beiden war, doch kam er gegen
die enorme Willenskraft des dynamisch und trotzdem sehr vorsichtig
agierienden Aljechins damals nicht an. Mir geht es wie dem grossen
Bobby Fischer, der einmal gesagt haben soll, dass er Aljechin bzw.
seine Spielweise nie habe verstehen können ... und ein solches Statement
will etwas heissen. Und nachdem Capablanca mein Liebling ist, ist
einigermassen klar, weshalb ich mit den komplizierten Partien von
Aljechin nie etwas habe anfangen können.
Gruss
Kurt
Stellung nach 9.Lg5 und bevor 9...h6?!
Stellung nach 14.b4 und bevor 14...dxc4?!
Stellung nach 16.Se5 (besser 16.Dd3) und bevor 16...Le8?! statt 16....Lb5
Stellung nach 18.Dd3 und bevor 18...Td8?? 19.f5! +-
Schluss-Stellung
Event:
Ort:
Datum:
Weiss:
Schwarz:
Ergebnis
Board
[Event "Buenos Aires, ol"]
[Site "?"]
[Date "1939.09.08"]
[Round "11"]
[White "Capablanca, Jose"]
[Black "Mikenas, Vladas"]
[Result "1-0"]
[ECO "E33"]
[EventDate "1939.??.??"]
[PlyCount "51"]
[Annotator "Utzinger,K"]
1. d4 Nf6 2. c4 e6 3. Nc3 Bb4 4. Qc2 Nc6 5. Nf3 d5
{Eine heutzutage seltenes Abspiel, weil Schwarz es damit schwieriger
hat, den weissfeldriigen Laeufer zu entwickeln. Die Variane 5...d6, um
so rasch als moeglich e6-e5 durchzusetzen wird deshalb viel mehr
gewaehlt. }
6. a3
{Die gebraeuchlicheren Alternativen bestehen in 6.Lg5 und 6.e3 }
6. ... Bxc3+ 7. Qxc3
{Zu einem Spiel ganz anderen Charakters fuehrt das Schlagen mit dem
Bauern. }
7. ... a5
{Verhindert b2-b4, aber 7...Se4, 8.Dc2 e5!? stellt eine interessante
Alternative dar fuer Schwarz, um Gegenspiel zu erlangen. }
8. b3
{Logisch, damit auf das gegnerische a4 der Vorbeimarsch b4 moeglich
wird; ferner kann der weisse Laeufer bei Bedarf nach b2 gestellt
werden, wo er den Zentrumsvorstoss e6-e5 wirkungsvoll bekaempft. }
8. ... O-O 9. Bg5
{Ein typischer Capablanca-Zug, der dem Gegner den Uebergang in ein
gleich stehendes Endspiel erlaubt, wo sich Weiss seiner Virtuositaet
wegen aber sauwohl fuehlt. Leider lehnt der Gegner ab, tut sich damit
aber keinen Gefallen. }
9. ... h6
{?! Falsch, so wie ich das sehe. }
( 9. ... Ne4 10. Bxd8 Nxc3 11. Bxc7 a4 12. b4 dxc4 13. Bb6 Re8 {= und
Schwarz hat m.E. gar nichts zu fuerchten; dass Mikenas diese Zugfolge
vermeidet, ist doch einigermassen erstaunlich. } )
10. Bxf6 Qxf6 11. e3
{Nun hat Weiss eine Stellung erreicht, die ihm einen kleinen, aber
dauerhaften Vorteil verspricht. Solche Positionen behandelt Capablanca
gewoehnlich virtuos und meistens gelingt es ihm, seine Gegner zu
ueberspielen. Das schwarze Manko besteht wegen der sich bald
oeffnenden c-Linie in der Schwaeche des Bauern auf c7. }
11. ... Bd7 12. Bd3 Rfc8 13. O-O a4
{?! Houdini 3 plaediert zu Recht fuer 13...Se7 mit der Drohung c7-c5,
was den Gegner zu 14.c5 zwingen wuerde mit schwierigem und lang
andauerndem Kampf. }
14. b4 dxc4
{?! Die freiwillige Oeffnung der c-Linie zugunsten des Gegners ist
strategisch fragwuerdig. Aber vielleicht glaubte Mikenas, dass es ihm
gelingen werde, die weissfeldrigen Laeufer abzutauschen. }
15. Bxc4
{Dieser logisch scheinende Schlagzug stellt nicht die beste Wahl dar,
die in 15.Dxc4! bestand. Es ist schon erstaunlich, dass Capablanca
vielfach nur die zweitbesten Zuege genuegten, um seine Gegner zu
besiegen. }
15. ... Na7 16. Ne5
{?! Meines Erachtens wiederum nur die zweitbeste Wahl, denn Weiss
sollte den moeglichen Abtausch der weissfeldrigen Laeufer mit 16.Dd3
vorbeugen. }
16. ... Be8
{? Schwer verstaendlich, aus welchem Grunde hier Schwarz auf 16...Lb5
verzichtet. }
17. f4
{!? Ein hinterlistiger Zug, der die weissen Intentionen fuer einen
kommenden Angriff am Koenigsfluegel aufzeigt. Vielleicht war es jedoch
besser, vor diesem Bauernzug noch 17.Dd3 einzuschalten, was das
gegnerische Sa7-b5 oder Le8-b5 verhinderte haette. }
17. ... b6
{?! Die Idee dieses fuer mich komischen Bauerzuges verstehe ich nicht,
standen hier doch die besseren Alternativen wie17...Sb5 oder 17...Lb5
zur Verfuegung. }
18. Qd3
{Ohne sich gross anstrengen zu muessen, hat Capablanca nun eine
Stellung erreicht, die bereits den Keim des Sieges in sich traegt. Die
weissen Figuren stehen bedeutend besser und Schwarz hat keinerelei
Chancen auf Gegenspiel. }
18. ... Rd8
{?? Das ist nun aber eine Fehler, wonach die Partie sofort den Bach
runter geht. Ganz offensichtlich hat Schwarz die folgende Antwort
schlicht uebersehen. Mit 18...Sc6 war noch Kampf moeglich. }
19. f5
{! Selbstverstaendlich laesst sich Capabalnca nicht zweimal bitten.
Hat Schwarz bei seinem letzten Zug vielleicht nicht in Betracht
gezogen, dass die Antwort 19...Dxe5 an 20.fxe6! usw. scheitert? }
19. ... b5 20. fxe6
{?! Eine typische Oberflaechlichkeit von Capablanca, der ausgerechnet
hat, dass dies zum Sieg genuegt, sich deshalb nicht um die bedeutend
staerkere Alternative 20.La2! kuemmert. }
20. ... bxc4 21. Rxf6 cxd3 22. exf7+ Bxf7 23. Rxf7
{Der Rest ist Schweigen. }
23. ... Nb5 24. Rf2 Rd5 25. Nxd3 Re8 26. Rf3 1-0