[quote="Peter Seidel"]
Da kann man mal wieder sehen, wie schnell hier verurteilt wird.
Aber davon lebt die Presse ja wohl auch. Allerdings bin ich tatsächlich der Meinung, das diese Betrugshysterie seit Neustem doch etwas sehr angeheizt wird. Die überwiegende Mehrheit der Schreiber hier ist schliesslich der Ansicht, das sich Betrug allein durch Analyse des Spielverlaufs nicht nachweisen lässt. Dieser Meinung bin ich tatsächlich ebenfalls. Lediglich zwei Schreiber ( Benjamin Bahnsen sowie der Mathematik-Professor Ingo Althöfer) bestehen hier in diesem Forum auf den Betrugsnachweis in diesem Falle und stützen sich offenbar allein auf Auswertungen von Spielverläufen in Verbindung mit Vergleichen mit Computerspielverläufen und fügen dem Schachsport mit diesen Vorwürfen einen nicht wieder gut zu machenden Schaden zu.
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Der Schaden ist noch viel größer wenn man für einen Betrugsnachweis auf Parallelen zum Spiel von Houdini & Co verzichtet. Wenn wir nur handfeste Beweise zulassen, wird Betrug mit Hilfe von Computern sehr schnell Nachahmer finden, weil die Chance erwischt zu werden ja praktisch Null ist. In anderen Sportarten ist es mittlerweile völlig normal, dass man auch ohne Beweis gesperrt wird. Nehmen wir Beispielweise den Hämatokritwert von Ausdauersportlern. Ist der zu hoch, so wird z.B. ein Radsportler unmittelbar gesperrt - ganz ohne positive Dopingprobe oder einen anderen stichhaltigen Beweis. Warum? Weil es für einen Menschen nicht möglich ist, einen entsprechend hohen Wert mit normalem Training zu erreichen. Er muss betrogen haben. Diskussion zwecklos. Und genauso ist es für einen Menschen nicht möglich wie Houdini zu spielen - insbesondere nicht für jemanden, der bisher allenfalls durch mittelmäßiges Spiel aufgefallen ist.
Der Radsport ist an dieser Stelle vielleicht ein nettes Beispiel. Viele können sich vielleicht an die Zeit von Jan Ullrich erinnern, wo jeder wusste, dass da vorn gedopt wird - nicht zuletzt wegen unmenschlicher Leistungssteigerungen. Soll sich der Schachsport genauso lächerlich machen und jahrelang Spieler tolerieren, die scheinbar übermenschliche Fähigkeiten haben? Muss ein Ivanov erst Weltmeister werden? Irgendwann, vielleicht erst viele Jahre später, wird ans Licht kommen wie er betrogen hat - und dann wird die große Frage kommen, warum nie jemand eingeschritten ist, wo doch alles so offensichtlich war...
[quote="Peter Seidel"]
Wenn das so weiter geht, werden Schachturniere so wie Hochsicherheitstrakte ausgelegt werden müssen. Mit Leibesvisitationen wie im Flughafen. Um Übergriffen von hysterischen Schachspielern zuvor zu kommen. Was steht da auf der Chessbase Seite zu lesen, Schiedsrichter und Spieler schleichen den Gegnern auf Toilette nach klettern auf die Abgrenzung , brechen sogar schon Toilettentüren dafür auf. Oh je.
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Ich bin ganz klar gegen Leibesvisitationen von Spielern oder Kameras bei Toilettengängen. Aber es müssen Methoden entwickelt werden auch ohne konkrete Beweise offensichtliche Betrüger aus dem Verkehr zu ziehen.
[quote="Peter Seidel"]
Nun noch einige Worte zu den statistischen Rechenkunststücken, mit welchen hier gern der Betrugsnachweis geführt wurde. Dazu folgendes:
Schach ist kein Glücksspiel, wie etwa Roulett. Im Roulett lässt sich die Wahrscheinlichkeit , das 12 mal hintereinander ROT fällt errechnen. So etwas kommt vielleicht einmal in 100 Jahren vor in der Welt in allen Spielcasinos der Welt. Wenn in einem Schachspiel 12 mal hintereinander Züge gespielt werden, die auch Houdini schon gespielt hat, dann ist das etwas völlig Anderes. Ein Schachzug wird nicht erwürfelt. Es gibt hier keine unabhängigen Fälle , welche sich mittels Wahrscheinlichkeitsrechnung abschätzen lassen. Dennoch wird das offenbar gern so gemacht und mit einer Wahrscheinlichkeitsrechnung argumentiert, die für unabhängige Fälle einen Sinn hat, nicht jedoch für das Schachspiel einen Sinn macht. Ich persönlich würde jedenfalls als Schiedsrichter solchen Spielern, die mit Vorwürfen zu mir kommen und dabei allein auf Zugähnlichkeiten mit Computerprogrammen ihrer Gegner argumentieren, sofort einen strengen Verweis wegen Unsportlichkeit erteilen, mit der Aufforderung das Spiel fortzusetzen. Das wär ja noch schöner, wenn ich als Schiedsrichter anfangen sollte, Spielverläufe zu analysieren, um den Vorwurf "Der Ivanov" spielt wie Houdini3 zu überprüfen. Ja selbst wenn das so wäre, dann spielt Ivanov immerhin Schach und ist gewillt mit Schachspiel zu gewinnen, während einige seiner Gegner versucht haben sich auf dem Weg der Beschwerde Vorteile zu verschaffen. Das kann im Falle einer so ungenügend begründeten Beschwerde gleichfalls als Betrugsversuch gesehen werden. Peter
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Wenn es angeblich so normal ist, im Mittelspiel 12 Züge lang exakt wie Houdini, einem Spieler mit über 3200 Elo, zu spielen - wieso kommt es denn so selten vor? Bei vielen Dutzend Partien von Kasparow habe ich keine solche "Glückssträhne" gefunden. Und ich bin mir sicher, dass auch Karpow, Anand, Carlsen, Kramnik, Fischer, Spasski & Co genau das NIE geschafft haben (Gegenbeispiele sind erwünscht...). Der Grund ist einfach: sie haben eben keine 3200 Elo haben, sondern "nur" 2800. Und nun kommt ein gänzlicher unbekannter Schachspieler daher und schafft es. Und zwar nicht nur 12 Züge lang - sondern 20 und mehr. Und das wieder und wieder und wieder. Das ist in dem Fall kein Glück, sondern System. Und so gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder er hat 3200 Elo oder er ist ein Betrüger.