Liebe Schachfreunde,
Letztes Jahr habe ich mit Erfolg an der Partie Welt-Akobian
teilgenommen und mir gedacht, dass ich diese einmal in Form eines
Artikels vorstelle.
Viel Spass,
Thomas
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Die Partie
The World vs. Varuzhan Akobian 2012 war instruktiv.
Das Welt-Team der Internet-Nutzer der Seite
www.chessgames.com("die Welt") spielte letztes Jahr, vom 1. August bis zum 27. Dezember,
gegen den Großmeister Varuzhan Akobian eine bemerkenswerte
Partie.
Die Eröffnung war die Caro-Kann Vorstoßvariante (B12). Die Welt
hatte die weißen Steine und das Spiel verlief so:
Event:
Ort:
Datum:
Weiss:
Schwarz:
Ergebnis
Board
Man kann zurecht behaupten, dass diese Partie eine Aussage macht:
Die Beherrschung des Raumes, erzielt durch einige entscheidende
Züge in der Eröffnung, kann zum Gewinn ausreichen.Dieser Beitrag will die Gründe und die Auswirkung dieser
Raumbeherrschung untersuchen.
Nach
6... Lg6 sehen wir folgende Stellung:
Schwarz hat gerade den Läufer f5 nach g6 gezogen, um den Springer
g8 über e7 auf eben dieses Feld f5 ziehen zu können.
Nun gibt es aber im Schach eine Regel, die besagt, dass es nicht
ratsam ist, in der Eröffnung eine Figur ohne Aufstellung einer
neuen Drohung zweimal zu ziehen.
Obwohl Schwarz nichts Neues drohte, als er den Läufer nach g6
zog, ist dieses Manöver unter einigen Großmeistern immer noch
beliebt. Wenn man sich die für Schwarz erfolgreichen Partien
ansieht, stellt man fest, dass Schwarz keine Probleme hat, seine
Figuren auf dem Damenflügel zu mobilisieren, besonders den
Springer d7. Schwarz kann das entweder durch Vorrücken des Bauern
c6 nach c5 erreichen oder durch das Nehmen eines Bauern auf c4.
Und ist erst einmal die schwarze Stellung offen, dann werden die
schwarzen Figuren zur Verwirrung des Gegners mit lebhaften Spiel
glänzen. Aber die Voraussetzung für diese Manöver ist die
Bereitschaft von Weiß, da mitzuspielen.
Das Welt-Team hatte nach alternativen Methoden Ausschau
gehalten und das Vorrücken des a-Bauern erhielt schnell
Unterstützung.
Man begründete dieses Vorrücken zweifach: Erstens wollte man Raum
auf dem Damenflügel gewinnen und zweitens die lange Rochade für
Schwarz erschweren. Aber es stellte sich heraus, dass dieser
Bauer etwas Wichtigeres erreicht hatte, als er auf a5 angekommen
war:
Er half, den Springer d7 zu behindern, denn die strategischen
Felder b6 und c5, die für die weitere Entwicklung von Schwarz
nötig waren, wurden jetzt teilweise von Weiß kontrolliert. Und da
diese Kontrolle durch Bauern ausgeführt wurde, war diese speziell
gegen die feindlichen Figuren gerichtet.
Nach
9... h6 sehen wir die folgende Stellung:
Der letzte Zug von Schwarz demonstrierte bereits Entwicklungs-
probleme, weil der weitaus natürlichere Zug
9... Le7 gewesen
wäre, um die kurze Rochade vorzubereiten. Aber nach dem
Antwortzug
10. g4, der den Springer f5 angreift, wird dieser
Springer zum Zug nach h4 gezwungen, weil ein konservativer
Rückzug nach e7 nicht mehr möglich ist. Und dann würde Weiß die
Springer abtauschen und mit dem darauffolgenden Zug f4 Raum auf
dem Königsflügel gewinnen und den Läufer g6 angreifen. Deswegen
erwartete das Welt-Team, dass
9... h6 die Vorbereitung zu
10... Lh7 war, um so den Läufer vor einer möglichen
Bauernattacke abzuschirmen und
11... Le7 zu ermöglichen. Aber
das passierte nicht, nach dem Zug
10. Sbd2 von Weiß spielte
Schwarz
10... Le7 und ermöglichte so das beschriebene Manöver,
mit dem Weiß Raum gewann und praktisch
13... f5 erzwang. In der
Folge teilte die lange Bauernkette b2 - e5 nicht nur das Brett
und sorgte für weißen Entwicklungsraum auf dem Königsflügel,
sondern kontollierte auch fast die ganze Diagonale a3 - f8, mit
der Ausnahme von e7 und f8. Ferner erlaubte sie auch das
Vorrücken des f- unf g-Bauern, die zusammen eine
Bauernwalzebilden. Und die ganze Zeit über war es Schwarz unmöglich, zu
rochieren.
Nach
22... Kg8 sehen wir folgende Stellung:
Die bereits ziemlich beengte Stellung von Schwarz verringerte
drastisch seine Möglichkeiten und machte das Spiel für Weiß
leichter. Das ist hier schon ziemlich extrem sichtbar. Es gibt
eine "
Zugschablone", ein sehr seltenes Phänomen im Schach. Das
bedeutet, dass eine Seite, hier Weiß, eine vorausbestimmte
Zugreihenfolge hat, in der die jeweiligen Antwortzüge von Schwarz
irrelevant sind.
Die Welt wollte den Damanflügelturm so schnell wie möglich zum
Königsflügel transferieren und zudem Turm g1 für den bereits
stattfindenden Königsangriff vorbereiten und hätte das wie folgt
tun können:
23. Ld2 ein Zug 24. Taf1 ein Zug 25. Tg2 ein Zugein Zug meint hier irgendeinen Zug von Schwarz, egal welchen,
die Serie wäre fortgesetzt worden! Die Existenz einer solchen
Zugschablone war einer der Gründe, warum
19. h3 so stark war,
ausserdem war schon nicht mehr von Bedeutung, welchen Zug Schwarz
danach gewählt hatte,
20. Se3 wäre in jedem Falle der Zug der
Wahl gewesen! Hier können wir also feststellen, dass Schwarz nur
schwache Züge hat, während Weiß konsequent seine Figuren
entwickeln kann.
Im Spiel entschied sich das Team dafür, den Turm anders zu
überführen, weil Weiß mit dem Zug
23. b4 gleichzeitig den
Damenflügel stilllegen konnte. Schon vor diesem Zug waren die
Möglichkeiten des Schwarzen auf dem Damenflügel eingeschränkt und
ineffektiv, aber dieser weitsichtige Bauernvorstoß hatte noch
andere Folgen, wie sich später herausstellte.
Man kann sehr gut die Intensivierung des Raummangels von Schwarz
an folgender Stellung nach
25... Bh4 sehen:
Die massiv eingeengte Position von Schwarz zeigt an, dass sein
zur Verfügung stehender Manövrierraum auf die letzten beiden
Reihen und 2 Felder der drittletzen Reihe geschrumpft ist. Nur
die Diagonale h4 - d8 erlaubt es seinem Läufer, einen Blick ins
feindliche Lager zu werfen.
Aber sogar in dieser ausgesprochen düsteren Lage hatte Schwarz
noch einen letzten Hoffnungsschimmer, ein Remis zu erreichen: Er
konnte Weiß verführen, ihm die Konstruktion einer Blockadestel-
lung zu erlauben!
Nach den Zügen
26. Rh2 Bg3 27. Rh3 Bxf4 28. Rhf3 g5 29. Ng2 Qh7 30. Qxh7+ Kxh7
31. Bxf4 Kg7 32. Bd2 Rxf3 33. Rxf3 Rf8 34. Rxf8 Nxf8hätte Schwarz diese Stellung erreicht:
Obwohl Weiß eine Mehrfigur im Vergleich zum Mehrbauern des
Schwarzen hat, kann das Team keinen echten Fortschritt erzielen,
denn Schwarz kontrolliert die Schlüsselfelder g6 unf g5, und f4
und h4. Und der Springer f8 wäre schnell genug auf d7, um einen
möglichen weißen Springer auf c5 abzutauschen.
Also können wir hier feststellen, dass auch die Seite mit Raum-
und sogar Materialvorteil immer noch aufpassen muss, denn die
andere Seite kann vielleicht sozusagen die Türe schliessen. Und
dann sind alle Anstrengungen und erreichten Vorteile vergeblich
gewesen und das Remis ist unvermeidlich.
Eine Blockade ist einer Festung im Endspiel sehr ähnlich, aber
kann bedeutend früher auftreten. In unserem Falle hätte auch der
bessere Zug
30. Lxf4 es nicht erleichtert, eine solche Stellung
zu vermeiden. Glücklicherweise konnte die Welt
26. Tf3 ziehen
und damit den Läufer zum Rückzug bewegen, weil das Feld g3 dieser
Figur nun versperrt war. Aber das war nicht Glück allein, denn
schon als man
23. b4 spielte und so den Damenflügel zumachte,
hatte das Welt-Team mögliche Wege in eine Blöckade untersucht,
und andere Routen wurden später entdeckt, aber immer noch früh
genug, um diese zu vermeiden.
Die Möglichkeiten von Schwarz waren also so beschränkt, dass er
die folgende lehrbuchhafte Angriffsposition von Weiß nach
31...
Sh7 nicht verhindern konnte:
Alle weißen Figuren hatten ihre optimalen Positionen sehr
effektiv erreicht, und nun dominiert die weiße Dame das Zentrum,
wobei sie gleichzeitig das Schlüsselfeld h7 angreift und f1
verteidigt. Der Springer, der über f1 nach g3 kam, schaut nach h5
und ist begierig darauf, Bauer f5 zu ersetzen. Die weißen Türme
bilden eine Batterie, die auf h6 zielt, genau wie der Läufer c1
auf h6 zielt, eine Figur, die noch nicht einmal gezogen hat und
so ein Zeuge des effektiven Aufbaus der weißen Angriffsposition
ist.
Diese Stellung war so stark, dass Schwarz nur 3 Züge später
aufgab.
Bevor die Welt den letzten Zug ausführte, war diese Position
erreicht worden:
Hier stimmte das Team mit Mehrheit für
35. Sd6, die offensicht-
liche Wahl, und Schwarz gab auf, weil er die Qualität geben
musste, um das Matt noch hinauszuzögern.
Ein anderer Zug wäre thematischer gewesen und hätte vielleicht zu
einem schnelleren Matt geführt, nämlich
35. Lf4.
Nach den plausiblen Zügen
35. Bf4 Rac7 36. Rh6 Rcd7 37. Bd2erscheint diese Stellung:
Schwarz am Zug.
Wenn wir die Aufgaben der schwarzen Figuren betrachten, sehen
wir, dass die Dame g6 bewachen muss, der Läufer hauptsächlich h4
bewacht, um zu verhindern, dass dort ein weißer Springer
auftaucht, und dass Springer h7 gefesselt ist und beide schwarzen
Türme auch nicht viele Felder haben, auf die sie ziehen können.
Also hat Schwarz hier nur nachteilige Züge (wie
37... c5, der
einen Bauern hergibt) und Züge, die ihn so gerade im Spiel
halten, aber nicht seine Situation verbessern.
Das könnte man als
milden Zugzwang beschreiben. Reiner
Zugzwangbedeutet, dass der betroffene Spieler nur nachteilige Züge hat,
die seine Stellung verschlechtern. Aber hier hat Schwarz auch
andere Züge, die seine Stellung zwar nicht verschlechtern, aber
auch nicht verbessern und ihm damit kein konstruktives Spiel
erlauben.
Das ist alles eine Folge der massiv beengten Stellung, die
speziell nach dem Zug
23. b4 auftrat. Es ist diese Art der
Verweigerung der Konstruktivität, die es der Welt erlaubte,
ungestraft ihre Figuren zum Angriff umzukonfigurieren und es
jetzt erlaubt, einen leichten Weg zum Matt einzuschlagen.
Statt der einfachen Zugzwangsituation, die in der Literatur
beschrieben ist, erzählt diese Partie von Zugzwangstufen, alle
verursacht durch den laufend abnehmenden Raum, der den Manövern
des Schwarzen zur Verfügung stand. Denn genau wie im echten
Zugzwang war Schwarz so gezwungen, Weiß zu helfen, also ist es
durchaus berechtigt, hier von einer milden Form des Zugzwangs zu
sprechen.
Nur 3 Ungenauigkeiten verursachten die Spirale zum Schachmatt:
Erstens
6... Lg6 (anstatt
6... Se7) vergeudete ein Tempo
und ließ damit das Vorrücken des a-Bauern zu,
zweitens
10... Le7 (anstatt
10... Lh7) erlaubte die weiße
Bauernwalze und damit den Raumgewinn auf dem Königsflügel
und
drittens
18... Df7 (statt
18... fxg4) ermöglichte es Weiß,
mit
19. h3 eine weiße Turmbatterie auf der dann offenen
h-Linie aufzubauen, als Schwarz den g-Bauern nahm.
Die erwähnten Ungenauigkeiten gestatteten eine sehr elegante
Partie, die die Macht der Beherrschung des Raumes demonstrierte.
Aber die Welt hatte Varianten analysiert, die auch bei einem
anderen Aufbau von Schwarz zum Sieg geführt hätten.
Nur das Matt wäre hinausgezögert worden.