[quote="Frank Quisinsky"]
Lese ich jetzt Deine Kommentare stehe ich zumindest als Leser nicht mehr allein zumal genau dieses Buch die richtige Lektüre ist mal selbst über verschiedene Dinge nachzudenken. Über Selbstverständlichkeiten, Werte, Anspruchsdenken und all die anderen Dingen die immer mehr durch Medien wie das Internet verloren gehen.
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Naja, Frank, du hast ein Buch besprochen, das dir gefallen hat und ein paar Antworten bekommen, warum man es besser nicht lesen sollte. Dabei haben Leute, die es gelesen haben, wirklich etwas zum Buch zu sagen und den anderen ist es natürlich unbenommen, zu begründen, warum sie's lieber gar nicht probieren.
Ich würde, hätte ich mir selbst deine Arbeit gemacht, mich auch lieber mit denen freuen, mit denen man sich über das, was einem gefallen hat, versteht, aus der Perspektive des nur- Lesers sieht man es noch eine Nummer gelassener, wie's bei anderen ankommt.
Tatsächlich hatte ich damals nach dem Lesen sogar auch eine Rezension fürs Glarean darüber überlegt, dann ging aber Isaac Lipnitzky vor und das bereue ich auch nicht, wenngleich die Reaktionen darauf auch nicht ganz so waren, wie man sich als Rezensent vielleicht erhofft, nämlich halt einfach nicht das ganz große Echo.
Zum Buch selbst, um nicht gleich in deine Sorge um die Medienkultur und das Internet einzustimmen ( es hat ja auch viel ganz eigene Kultur gebracht, ich gehöre nicht zu denen, die meinen, das sei alles nur Subkultur, dass dies und jenes Alte verdrängt wird, wenn es was Neues gibt, liegt in der Natur der Sache).
Romane sind was für Romantiker und was dieses Genre angeht, sind mir halt immer noch die lieber, die sich bewußt und absichtlich nur oder mehr mit den für sie erzählenswerten Geschichten darum herum beschäftigen (vorausgesetzt, die gefallen mir und nur darum geht es halt eigentlich auch hier) als solche, die so tun, als wären sie historisch und oder schachlich enorm exakt und bewandert und in Wirklichkeit verzapfen sie auch nur schlichte unbedarfte Eigenmeinung oder plappern noch häufiger solche anderer nach, wie die Diagnose von Bobby Fisher's Asperger. Fachleute sind sich gerade bei solchen Syndromen immer wieder uneinig, welcher einzelne Patient das hat oder nicht, selbst nach eingehender Untersuchung, weil es aber so gut klingt, werden solche Diagnosen von den Medien immer wieder viel lieber übernommen als näher erklärt, man hat einen Begriff und gut. Von dem einzigen Fachmann, der Fischer auch persönlich als Schachfreund kannte, Reuben Fine, ging das, meines Wissens nach, nicht aus. So jemandem würde sich solche Diagnosen schon deshalb verbeten haben, weil sich Fischer ihm gegenüber immer ausdrücklich die medizinische Beurteilung durch ihn verbeten hatte. Biographen haben's da einfacher, sie fragen jemanden, was der so drüber denkt und schreiben drauf los. Solche Schlampereien in den Recherchen haben viel schlimmere Auswirkungen, weil sie als sogenannte Fachliteratur verkannt, unkritisch geglaubt und weitergereicht werden und der Person, um die es geht, noch viel weniger gerecht werden und zu Oberflächlichkeit verleiten, ohne dass einem das auf Anhieb klar wird.
Will sagen, dass Stassi gar nicht den Anspruch erhebt, der historischen Gestalt, geschweige denn seinem schachlichen Genie schachlich gerecht zu werden. Er verwendet einfach die Personen als Aufhänger für Kunstfiguren und deren Schicksale um eine anrührende und raffinierte Geschichte zu erfinden. Die mag einem gefallen oder nicht, mit dem, was Capa als Schachspieler wirklich geleistet hat und ob das jetzt schachrhetorisch immer korrekt formuliert ist, hat es nur am Rande zu tun. Natürlich kann es einen als Schachspieler stören, wenn da Ungereimtheiten sind, für die literarische Beurteilung, sofern nicht schachlich oder historisch echter Blödsinn verzapft wird, hat es keinen Belang.
Ich will jetzt auch nicht so tun, als wäre das Buch für mich ein epochales Meisterwerk des historischen Romans, ich finde es ist gute Unterhaltungsliteratur mit einer auch für Schachspieler, die sich nicht an zuviel künstlerischen Freiheiten stören, witzigen Pointe. Was Capablanca schachlich unter der russischen Schachmaschinerie der damaligen Zeit zu leiden hatte, weil Aljechin allein hätte nicht so lange Weltmeister sein können ohne die Phalanx um ihn herum, kann man vielleicht sogar ein bisschen mit Bobby Fischer vergleichen, auch bei dem würde ich mich als Schachspieler fragen, was von dem Verfolgungswahn, den er entwickelt haben mag, ursprünglich reale Verschwörung des Sowjetschachs gegen ihn war und sich dann erst mehr und mehr zur wahnhaften Fixierung gesteigert hat. Dass man sich nicht als Kind so auf ein Spiel beschränkt, wie er, wenn es nicht auch ganz besondere Umstände sind, von Geburt und Umwelt außergewöhnlich, muss nicht für Diagnosen reichen, sollte aber für Biographen interessanter sein als irgendwelche Stempel, die man ja auch ohne Recherchen allen möglichen Leuten einfach aufdrücken kann, um sich mühsameres zu ersparen.
Das hat alles mit diesem Buch sehr wenig zu tun, wollte ich nur loswerden angesichts deiner Frage, was einem bei der Lektüre noch so alles durch den Kopf geht. Eigentlich wollte ich nur in Kürze sagen: was wissen wir eigentlich überhaupt von den Menschen, deren berühmte Schachpartien wir nachspielen und was wollen wir überhaupt über sie wissen. Wir geheimnissen gerade als Schachspieler sicher immer wieder sehr viel in einzelne ihrer Züge hinein, anstatt uns zu fragen, wie sie zu der Zeit gelebt haben mögen. Eigentlich in diesem umgekehrten Sinn abstrahieren wir von den Spielern, deren Partien wir bewundern, viel mehr, als ein Romanschriftsteller, der sich aus einem historischen Gerüst eigene Personen und Handlungen bastelt, vielleicht sollten wir hin und wieder weniger das eine und etwas mehr das andere tun und würden Figuren, die sich nicht nur wie Schachfiguren am Brett sondern real im Leben bewegen oder bewegt haben, gerechter werden als durch das Hängen an Details, die nur 8x8 Felder wichtig sind.