Micha Wehrmann schrieb:
Hallo Stefan,
berichte bitte weiter über deine Erkenntnisse zu dem Robo.
Vor allem interessiert mich (vielleicht kaufe ich das Ding):
- Wie groß (klein) ist sein EÖ-Repertoire?
- Zieht er strikt nach einer oder wenigen Sekunden,
oder kann der Robo eingestellt werden, auch mal länger "nachdenken"?
- Wenn er Stockfish 15 schlug, beruht sein Schachwissen vielleicht doch auf Stockfish & friends?
(Vergleich der Spielstile, Teststellungen usw.)
- Wie schlägt sich der Robo gegen den aktuellen Stockfish, wenn gleiche effektive Bedenkzeit besteht?
Micha
1) Weiß ich nicht, es gibt keine Spezifikationen. Aber es spielt proaktiv auch ungewöhnliche Varianten bzw. immer wieder andere Antworten auf z.B. 1.e4. Da der Roboter keine Bedenkzeit verbraucht, kann ich nicht mal sagen, wo das Eröffnungsbuch in einer Partie überhaupt endet.
2) Er zieht immer quasi instant, was ich auch schon im Eingangsposting geschrieben hatte. Das ist in der Praxis auch auf jeden Fall gut, da das Ziehen selbst wegen des Roboterarmes ja knapp 12 Sekunden dauert (durchchnittlich (real liegen die Zugzeiten zwischen 6 und 15 Sekunden)). Mittlerweile ergänze ich: Stufe 22 scheint verbuggt zu sein: Hier scheint der Roboter 5-10 Sekunden zu rechnen, was er sonst nie macht und auf dieser Stufe hat der Arm auch schon mal ins Leere gegriffen, was er sonst niemals tut. Da scheint etwas nicht zu stimmen. Hoffen wir mal, das das noch gefixt wird.
3) Ich kann nur sagen, es ist offensichtlich eine NeuralNetz Engine. Ich habe aber keine Ahnung, welche. Da es keinerlei angezeigten Engine-Output gibt (außer den auf den Brett gesetzten Zügen) weiß ich nichts über die benutzte Engine. Sie spielt aber durchaus aktiv nach vorne. Natürlich nicht wie Patricia, das Killerkaninchen, aber auf jeden Fall aktiver als die meisten Top-Engines. Auch sieht man eine deutlich "Beißhemmung": Der Roboter tauscht generell nicht gerne ab und ganz besonders nicht die Damen. Das paßt natürlich gut zu einem Roboter, der primär gegen Menschen spielen soll: Frühes Verflachen der Partien ins Endspiel will man dann natürlich auch nicht haben.
4) Alle Tests auf diesem Top-Niveau, also den Stufen 23-25 endeten bei mir Remis (vs. Stockfish 15.1 und vs. Velvet 8.1.1 risky, beides auf Tablet), hier ist die Spielstärke einfach schon zu hoch, man müßte auch hier UHO-Eröffnungen vorgeben in der Benutzung, meine ich. Was kein Problem wäre, da der Roboter ja die coole Option hat, eine beliebige Brettstellung sofort als Spielstellung zu übernehmen, der Roboter muß ja nur aufs Brett schauen (Rochaderechte etc. muß man noch kurz per Hand setzen).
Mein Eindruck, daß die Spielstufen mit ihren angegebenen Elozahlen viel zu niedrig sind, hat sich übrigens weiter verfestigt. Mittlerweile würde ich sogar fast +500 Elo annehmen wollen: Ein flottes Match gegen Chess Genius auf einem Tablet (1.2 MN/s) mit 5 sek/Zug steht nach 20 gespielten Partien gegen den Roboter auf Stufe 20 (=angeblich 1900 Elo) ausgeglichen. Und bei 1.2MN/s hat der Chess Genius nun mit Sicherheit 2400 reale Elo.
Davon ausgehend kann man also annehmen, daß die realen Elo, die der Roboter anbietet, nicht von 200-2900 Elo gehen (so sind die Stufen beschriftet), sondern in der Realität von 700-3400. Zumal ich 3400 Elo als Maximalwert für eine normale NNUE-Engine, die immer nur 1 Sekunde, auf vermutlich sehr langsamer Roboter-Hardware, rechnen darf, für absolut realistisch halte.
Fazit nach der 1.Woche:
1) Ich bin immer noch schockverliebt. Das ist der coolste Schachcomputer aller Zeiten. Der Immersionsprung durch den Roboterarm und die rein optische Informations-Verarbeitung des Roboters ist unfaßbar - ich habe das vor dem Kauf selbst so nicht erwartet. Auch, wenn selbstziehende Bretter im Prinzip das Gleiche anbieten, ist das ein himmelweiter Unterschied in der Immersion. Das eine ist eben ein selbstziehendes Schachbrett. Das andere ist die Realisation des Schach-Türken von 1769 für daheim und ohne Hoax - also die Realisierung eines 250 Jahre alten Traumes. Mehr muß man dazu wohl nicht sagen.
2) Die Spielweise (siehe 3, oben) gefällt mir ausgesprochen gut: Der Roboter spielt aktiv nach vorne, breites Eröffnungsrepertoire, starke Abtauschhemmung. Natürlich wäre ein Einsatz anderer Engines durch den Nutzer noch viel cooler (Patricia spielt auf diesem Roboter - wie genial wäre das denn???). Hoffentlich kommt das noch per Update. Man darf ja nicht vergessen, das Gerät wurde erst auf der CES 2025 überhaupt vorgestellt, es ist also immer noch sehr neu.
https://www.youtube.com/shorts/B2nnR01u_So3) Der Roboter könnte mit eingen Updates (eigene Engines/Bücher nutzen, optionaler Engine-Output auf dem Bildschirm (="Gesicht"), auch längere Bedenkzeiten auf Wunsch einstellbar) noch viel, viel besser werden. Aber, möglicherweise kommende Updates sind natürlich nichts, worauf man bauen darf. Betrachte ich daher das, was man Stand heute für sein Geld in diesem Roboter angeboten bekommt, ist meine Meinung die Folgende:
a) Alles, was bisher angeboten wird, funktioniert (bis auf Stufe 22 (siehe oben)) einwandfrei. Ein Umkippen von Figuren kann (wenn überhaupt) nur passieren, wenn die Figuren nicht richtig mittig auf den Feldern stehen und auch dann nur auf Reihe 4 und 5. Und auch dort nur, wenn auf dem Feld direkt rechts der zu ziehenden Figur eine Dame oder ein Turm steht (nur diese Figuren laufen oben nicht spitz zu, sodaß die Greif-"Finger" nicht an der Figur herunterrutschen können). De facto passiert das so gut wie nie. Ich hatte das jetzt 2x in 1 Woche intensiver Nutzung und Tausenden von Roboterzügen.
b) Das Spielen macht unfaßbar viel Spaß aufgrund der bislang unerreichten Immersionstiefe und der attraktiven Spielweise des Roboters. Ich kann einfach nicht mehr aufhören, damit zu spielen. Auch Schachcomputer gegen den Roboter spielen zu lassen, macht unglaublich viel Spaß. Mein erster Brettcomputer war 1982 der Mephisto 2. Ich besitze selber ca. 2 Dutzend Brettcomputer und habe noch viel mehr in der Vergangenheit mal "bespielt": Kein Brettcomputer kommt auch nur in die Nähe, wenn es um Spaß und Immersion bei der Benutzung geht. Selbst der Kishon Chesster und der Phantom (zieht auch selbst) kommen da bei weitem nicht heran.
c) Das Preis/Leistungsverhältnis finde ich exzellent: Der Roboter ist schwer, wirkt sehr hochwertig verarbeitet, dafür deutlich unter 1000€ aufzurufen, finde ich mehr als fair.
d) die App funktioniert und ist simpel gehalten. Man braucht sie nur zum Einrichten des Wifi des Roboters, danach nur noch zum Speichern der Partien, falls gewünscht. Ansonsten ist der Roboter ein netzbetriebenes Stand-alone Gerät (für mich ein wichtiger Punkt bei einem Schachomputer), man benötigt kein Smartphone, Tablet, PC etc und auch ein Aufladen von Akkus entfällt. Auch kann der Roboter komplett offline genutzt werden, das geht sogar direkt nach dem Auspacken des Gerätes, noch bevor es sich überhaupt jemals mit dem Internet verbinden konnte (hab es selber ausprobiert).
4) Beleuchtungsverhältnisse: Da der Roboter auf das Brett schaut (wie ein Mensch), braucht er Licht in der Umgebung. Normale bis eher schwache Beleuchtung reicht völlig aus. Man muß nur darauf achten, daß es keine starken Schatten der Figuren auf dem Brett gibt, besonders wenn die Lichtquelle (von der Perspektive des Roboters aus!) den Roboter anstrahlt (also hinter dem menschlichen Spieler platziert ist). Denn dann bildet sich ein dunkler Schatten vorne auf den Figuren, so daß dann weiße Figuren von der Roboterkamera als schwarze erkannt werden können. Das tritt aber auch nur sehr selten auf. Insgesamt ist der Roboter erstaunlich "tolerant" gegenüber wechselnden Beleuchtungen, da die Brettfarben mit sehr reinem Weiß/Schwarz einen sehr hohen Grundkontrast anbieten. Farbiges Licht sollte man allerdings vermeiden, denke ich.
5) Ich bekam jetzt schon 3x die Frage nach dem GO-Button: Auf den Videos drücken die Spieler nach jedem Zug diesen Knopf. Das ist ab Werk so eingestellt, daß der Roboter erst zieht, wenn man GO gedrückt hat (nachdem man auf dem Brett gezogen hat). Das soll wohl einerseits dem Menschen beim Ziehen mehr Spielraum geben (man kann sich nochmal umentscheiden) und andererseits wohl das Drücken einer Schachuhr nachahmen.
Aber: Das kann man leicht abschalten. Dann zieht der Roboter sobald sich 1 Sekunde lang auf dem Brett nichts tut und die Brettstellung eine andere ist, als vor dem Zug. Und es (logisch) einen legalen Zug gibt, der von der alten Stellung in die neue Stellung führt. Dann nimmt er diesen Zug als Spielerzug und macht seinen Gegenzug - ohne daß man irgendeinen Knopf drücken muß. Ich habe mir das sofort so eingestellt.