Kurt Utzinger schrieb:
Mir hängen die dauernden Turniere mit Blitz- und Rapidpartien
mit (fast) immer denselben Spielern, aber auch die Italiensiche
Eröffnung, langsam zum Hals heraus. Ganz zu schweigen von
den immer beliebter werdenden Freestyle Chess Turnieren.
Schach wird nun mal gerade zum E-Sport. Daran wird wohl niemand etwas ändern. Und was das Freestyle Chess angeht: Das hat ja noch gar nicht richtig angefangen... Jetzt, wo Carlsen und J.Büttner einen weiteren Investor an Bord geholt haben, der mit einem 2-stelligen Millionebetrag einsteigt, wird das im Gegenteil erst richtig losgehen...
Ich für meinen Teil finde diese Entwicklung des Schachs Richtung E-Sport logisch und zwangsläufig: Schach kann nur wachsen und "gedeihen", wenn mehr Geld ins Schach kommt. Und das geht nur über Sponsoren. Und diese geben nur dort Geld aus, wo sie auch als Sponsoren wahrgenommen werden (verständlicherweise). Und das ist nur dort der Fall, wo viele (online-)Zuschauer sind.
Eine solch in sich logische und daher zwangsläufige Entwicklung zu beklagen, ist also letztlich reine Zeitverschwendung, denn das Jammern und Wehklagen wird mit Sicherheit nichts an der Situation und Entwicklung ändern. Letzlich hat Jammern und Wehklagen noch nie irgendwo irgendwas geändert...
Wenn man etwas ändern will, muß man etwas machen:
Beispiel 1: Als mir die bedenkliche Entwicklung des Computerschachs Richtung Remistod bewußt wurde, habe ich - anstatt das nur zu beklagen - eben angefangen Anti-Draw Eröffnungskonzepte zu erarbeiten und auszuarbeiten. Und heute haben wir mit meinen UHO-Eröffnungen das Remistod-Problem (zumindest für die nächsten Dekaden) im Computerschach nicht mehr.
Beispiel 2: Die zunehmende Sterilität des Spitzencomputerschachs (korrekt, saustark, aber eben auch unspektakulär) habe ich auch nicht nur beklagt, sondern mein EAS-Tool programmiert, welches das Messen der Aggressivität einer Engine ermöglicht und somit auch eine Engine-Entwicklung hin zu mehr Aggressivität & Spektakel möglich macht (ohne Zahlenwert zur Aggressivität ist das nämlich nicht machbar, genausowenig, wie man eine Engine ohne Elo-Spielstärke Messungen besser machen kann). Und heute habe wir schon Rebel EAS und Patricia, welche dank EAS-Tool gezielt in Richtung mehr Opfer und Spektakel hin konzipiert wurden. Und ich hoffe (und glaube), daß das erst der Anfang eines grundlegenden Kurswechsels im Computerschach ist.
Allerdings denke ich, es würde sehr schwer werden, die Richtung, die das (Spitzen-)Menschenschach eingeschlagen hat, zu verändern. Aber auch nicht unbedingt unmöglich. Carlsen z.B. hängt das Turnierschach mit elend langen Theorielinien, die sich die Top-Spieler um die Ohren hauen, zum Hals heraus. Und er hat dann mit J.Büttner das Freestyle Chess aus der Taufe gehoben, also eben Chess960 mit klassischer Bedenkzeit, was ja bisher quasi nicht stattfand.
Letzlich ist es aber doch so, daß diese Entwicklung des Schach Richtung E-Sport eigentlich nur den (erweiterten) Top-Bereich des Menschenschachs betrifft. Der "normale" Schachspieler unter 2600 Elo ist doch von dieser Entwicklung gar ncht betroffen. Schönes Beispiel ist die Videoserie von Levy Rozman (Gothamchess), der ja versucht GM zu werden. Gerade spielte er ein Open-Turnier mit klassischer Bedenkzeit in Italien. Ergo: In diesen unteren Regionen hat sich beim Schach eigentlich nichts verändert. Warum auch? Daß aber die Top-Spieler, die ja als Profis auch vom Schach leben, es gerne sehen, wenn mehr (Preis-)Geld ins Schach kommt, ist doch völlig klar und nichts, was man ihnen vorwerfen kann. Und meiner Meinung nach auch nicht sollte. Man bedenke: Nicht jeder ist durchs Schach zum Multimillionär geworden wie Carlsen und Nakamura. Sondern im Gegenteil. Die meisten Top-Spieler nagen quasi am Hungertuch. Bestes Beispiel: Vincent Keymer: Man stelle sich das mal vor: Das größte deutsche Schachtalent seit Jahrzehnten mußte nach dem Abi erst auf Sponsorensuche gehen, sonst hätte er mit Schach nicht weitergemacht und das im einem der reichsten Länder der Erde. Und diese Sponsorensuche war äußerst mühsam. Und wer wurde dann der Haupt-Sponsor? Jan Büttner (Freestyle Chess Event Gründer). Tja. Kann man es unter diesem Gesichtspunkt wirklich schlecht finden, daß das Top-Schach zum E-Sport wird und endlich viel mehr Geld ins Schach gepumpt wird? Eigentlich müßten deutsche Firmen doch bei Vincent Keymer Schlange stehen, wenn es darum geht, seine Hemden mit ihren Firmenlogos zuzupflastern. Das wird aber eben nur passieren, wenn dieses Hemd (mit Keymer darin) auch oft in Übertragungen zu sehen ist und auch viele Leute diese Übertragung anschauen.
Kurt Utzinger schrieb:
Und dass selbst Blitzpartien in den CB-Datenbanken Eingang
finden und man diese immer zuerst herauslöschen muss, um
einigermassen verlässliche statistische Werte für die Eröffnungen
zu erhalten, macht mich echt sauer.
Tja, die Megabase... Ich bin ja dank meiner Eröffnungs- Bau-Projekten ja zwangsweise zum Megabase-Experten geworden... Daß sie auch Blitzpartien mit in die Megabase nehmen, verstehe ich schon, denn es werden einfach immer weniger Top-Turniere mit klassischer Bedenkzeit gespielt und wenn man den Leuten ein jährliches Update verkaufen will, braucht man einfach eine gewisse Menge an neuen Partien (auch von den Top-Spielern). Was aber eine Frechheit ist, ist wie schlecht die Megabase editiert ist. Bzw. gar nicht editiert ist. Es gibt Partien ganz ohne Züge, Partien mit falschen Results (Weiß setzt Matt und trotzdem steht als Result 0-1 drin oder ähnliches) etc. Und das tritt häufiger auf und auch in älteren Abschnitten der Megabase - ChessBase ist die Qualität offensichtlich Wurst. Denen geht es nur um Masse. Sie müßten nur pgn-extract 1x (in Worten: ein Mal !) drüberlaufen lassen (pgn-extract kann nämlich in einem Aufruf Ergebnisse korrigeren, Chess960 Partien aussortieren und Partien, die nur wenige plies lang sind oder gar keine Züge enthalten, aussortieren) und könnten diesen ganzen Schrott aussortieren bzw. korrigieren. Danach dann wieder zurückkonvertieren in ihr tolles ChessBase-Datenformat mit gefühlten 1000 verschiedenen Dateien und fertig wäre man. Könnte man locker an einem Tag bewältigen. Tja. Leider ist Chessbase dafür entweder zu faul oder zu blöd.
Leider ist die LiChess Datenbank auch nicht besser. Aber da diese gratis ist, darf man sich dort natürlich nicht beschweren. Bei der kommerziellen Megabase hingegen schon.