Roland Riener schrieb:
Ein Artikel mit Sentiment. Ob linksliberal, stockkonservativ oder sonst was, dem Homo Austriacus geht es halt zuvorderst um den Menschen und erst in zweiter Linie um die Sache, während man ja den korrekten Preussen und auch den unterkühlten Hanseaten eher ein umgekehrtes Verhältnis nachsagt. Möge ein jeder hier den ChessBase-Bericht über die letzte Turnierrunde der
85th Tata Steel Masters, im Januar 2023 in
Wijk aan Zee zum Vergleich heranziehen und dann sein eigenes Urteil fällen.
Anatol Vitouch, Schachjournalist von der linksliberalen österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ schreibt in dem zitierten Artikel:
„Stellen Sie sich vor, Sie sind 18 Jahre alt und führen nach 12 von 13 Runden beim renommiertesten Schachturnier der Welt. In Runde fünf haben Sie den Weltmeister geschlagen.
In Ihrer ersten klassischen Partie gegen ihn. Mit Schwarz. Vier Siege, acht Remis, keine Niederlage – so lautete die beeindruckende Zwischenbilanz.
Nur noch eine Partie trennt Sie davon, etwas zu schaffen, das in 85 Jahren noch niemandem vor Ihnen gelungen ist: als Teenager das "Wimbledon des Schachs" zu gewinnen. Bei Ihrem allerersten Antreten.“
Besser kann man den äusseren Druck und inneren Stress gar nicht veranschaulichen, der auf dem 18-jährigen Usbeken
Nodirbek Abdusattorov bei diesem „jüngsten Wijk-Turnier aller Zeiten“ lastete.
Objektiv gesehen lagen die Vorteile sogar auf seiner Seite, spielte mit Weiß und der 23-jährige Niederländer
Jorden van Forees war jetzt nicht gerade der stärkste im Feld.
Und daß
Anish Giri von
Richard Rapport durch dessen kapitalen Schnitzer im 34. Zug die Partie sozusagen „geschenkt“ bekam, zeigte, dass Caissa dem wahrscheinlichsten Anwärter auf den Turniersieg eben diesen missgönnte. Für ihn lief wirklich alles schief an diesem letzten Tag, vor allem in der Partie selbst. In dem Sizilianer summierte sich eine um die andere Ungenauigkeit bis hin zum bitteren Ende. Niemand wunderte es, daß Abdusattorov nach dieser tiefen Enttäuschung der Abschlussfeier fernblieb und wahrscheinlich nur noch nach Hause wollte.
Giri, Anish - Rapport, Richard, 34._____ Kg6??
Den Turniersieg von
Anish Giri kommentierte der ChessBase-Redakteur
Klaus Besenthal folgendermaßen: „Für das Abschneiden von
Anish Giri an diesen zwei Wochenendtagen können wir vielleicht am besten eine alte Fußballerweisheit ein wenig abwandeln: Zuerst hatte er kein Pech (gestern), dann kam auch noch Glück hinzu (heute)“
Magnus Carlsen schaffte es mal wieder, sich vom Mittelfeld bis zum geteilten zweiten Platz vorzuarbeiten, indem er schlicht und einfach den obligatorischen Gewinn in seiner letzten Partie gegen das Schlusslicht Erigaisi Arjun absolvierte.
Vincent Keymer, der als frischgebackener Schnellschach WM-Fize allein schon auf seine Einladung zu diesem Turnier stolz sein konnte, musste sich mit dem vorletzten Platz begnügen. Dass es durchaus hätte mehr sein können, ist ja auch in diesem Forum mehrfach kommentiert worden.
Liren Ding, zweiter der Fide-Weltrangliste, konnte bzw. sollte natürlich mit seinem 11. Rang nicht zufrieden sein. Allerdings zeigten er und
Caruana (5) in ihrer letzten Partie wenig Interesse, daran noch irgendetwas ändern zu wollen. ChessBase meint:
„Zum Start in diesen Sonntag zeigten zwei der weltbesten Schachspieler erst einmal, wie das gehen kann: ein schnelles Remis. Dass sie damit jedoch ihre Teilnahme am nächstjährigen Tata Steel Masters aufs Spiel gesetzt haben, zeigt ein Blick in die "Rules". Dort heißt es:
"Short draws We kindly ask all players to show their best fighting spirit. The sponsor and Organizing Committee respect it a lot when draws within 30 moves, or within three hours of play, will not be seen during the event. The player(s) who will not respect this ethical rule, may risk not being invited for future Tata Steel Chess Tournaments."
Eine Stellung in der tragischen und entscheidenden Partie Adbusattorov-van Foreest hat es mir angetan und ich werde dieser Tage die Engines auf sie loslassen. Wenn es sich lohnt, kommt demnächst noch ein Nachschlag, mit Diagramm natürlich.
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