Michael Bechmann schrieb:
Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert
Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.
Aber gerade diese Stelle hätte dich doch als Schachspieler ansprechen sollen, Michael!
Dass der Gegner einen Zug macht, der einen erschüttert, das kennst du doch sicher auch, oder?
Im Ernst, ich hatte schon, wie es manchmal meine Art ist, ein Klagelied angestimmt über die Traurigkeit, die es auslösen kann, Poesie, die man liebt, von jemandem, mit dem man ein so entlegenes Hobby wie Computerschach teilt, so gar nicht verstanden zu finden. Aber dann hab' ich (wirklich, es war zuerst schon noch länger, das ist bereits die gekürzte Fassung) gemerkt, dass es eben genau das nicht ist, was Sinn macht, mit vielen Worten das erklären zu wollen, was Goethe für einen selbst hier (in dem Zitat, Faust im Ganzen ist schon noch länger als mein Posting) mit weniger Worten so zu Herzen gehend schreibt, undf was es für einen selbst bedeutet, jemandem näher bringen zu wollen, wenn's mit Goethes Worten nicht klar wird, schaff' ich's auch nicht, da kann ich mich noch so anstrengen und noch so weit ausholen oder mich noch so kurz fassen.
Und dann hab' ich mich einfach wieder auf einige wenige Worte beschränkt und das Posting wie folgt ediitert:
Faust ist lang und zeitweise etwas langatmig, die Story ist nicht neu gewesen, schon als sie Goethe aufwärmte, der Typ als solcher und die Geisterwelt um ihn herum, das mag einen schon etwas befremden, wenn man sich der Mystik und der Psychologie und dem Mitleid mit der geqälten Seele verschließt, aber wenn man sich mal drauf eingelassen hat, dann kann einen das schon immer wieder in eine Welt entführen, die vielleicht nicht realer und nicht wichtiger und nicht informativer und nicht so klar ist, wie man's halt im digitalen Zeitalter gerne hätte (aber natürlich erst recht überhaupt nicht hat), die aber Schönheit und Hoffnung und Trost bietet bei aller Verzweiflung, in der sie einen auch antreffen kann, dann erkennt man sie aber wenigstens auch darin wieder, man fühlt sich selbst verstanden, Schönheit und Poesie, auf die ich in meinem Leben nicht hätte verzichten wollen bisher, dass mir die modernen Errungenschaften, so viel Gutes sie uns auch nach der Zeit von Goethe gebracht haben, irgendetwas davon ersetzen hätte können oder in Zukunft wird ersetzen, das glaube ich sicher nicht.
Ja, vielleicht dann, wenn ich nicht mehr imstande sein werde, Goethes Gedichte zu verstehen, weil ich zu senil dazu geworden sein werde, wenn ich das alles vergessen werde haben, was mich daran begeistert hat und mir das Leben noch lebenswerter gemacht hat, dann, wenn das alles der Demenz zum Opfer gefallen sein mag, dann werde ich vielleicht froh sein,wenn mir die Fernbedienung von meinem Fernseher und die digital gesteuerte Mechanik von meinem Krankenbett geblieben sein werden, aber weißt du, Michael, eigentlich möchte ich so eine Zeit, in der mir Goethes Worte nichts mehr geben, nicht wirklich erleben, da sterbe ich lieber früher aber dafür mit der Erinnerung an die Zeiten, in denen ich wusste, was das alles für Menschen bedeuten kann, und eben nicht nur mir, sondern so Vielen anderen. Sich denen, ob es die engsten Verwandten und Freunde sind oder wildfremde Leute, durch die Poesie verbunden zu fühlen, das lässt mich auch in diesen zeitweise noch viel grausigeren Zeiten, als sie Faust in Goethes Schrift durchlebt, immer noch mehr hoffen, als dass uns moderne (auch und gerade sogenannte "soziale") Medien näher zusammenbringen.
Um jetzt also nicht selbst unbedarft poetisch zu werden und oder mit ungefügen leeren Worthülsen ungefragte Kunstkritik von mir zu geben, und damit natürlich automatisch erst recht unverstanden zu bleiben, zwei Bilder aus meiner Erinnerung zu diesen Dingen, zu dem, was man mit Anderen gefühlsmäßig teilt und eben nicht nur völlig unmittelbar von Mensch zu Mensch sondern irgendwie über gemeinsamenen Kunstgenuss, sozusagen Medien-vermittelt:
Ich sitze in einem dunklen Kino voller Unbekannter, nur direkt neben mir eine gute Freundin.
Es kommt eine Stelle, wo alle lachen, ok, war halt eine lustige Stelle.
Dann kommt eine Stelle, da lacht keiner, kann aber trotzdem eine Stelle sein, wo alle betroffen und berührt sind, man merkt's aber keinem an im Dunkeln.
Und dann kommt eine Stelle, da lachen ein paar, ein paar nicht, die Freundin daneben ein bisschen, man selber grinst nur dämlich und gerührt. Und man fühlt sich plötzlich der Freundin daneben, weil man weiß, sie grinst auch, man muss gar nicht rüberschauen, und den paar Leuten, von denen man gehört hat, sie lachen auch leise, und eigentlich dem ganzen Kinosaal für einen Moment lang so verbunden, als wären es lauter Seelenverwandte, ewig lang Vertraute, Freunde im Herzen, weil man das Gefühl hat, das haben jetzt alle auf eine gemeinsam Art verstanden.
Negatives Beispiel: Salzburger Dom, eine Bruckner- Messe, diese Musik mit dieser Orgel in diesem Raum.
Ich sitze in einer Bank mit einer anderen Freundin (das jetzt aber nicht eine, sondern damals "die" Freundin), sonst lauter JapanerInnen mit ihren umgehängten Fotoapparaten.
Und ich fange zu flennen an, weil's so schön ist (ok, ich oute mich vollends, das passiert mir bei Musik gar nicht so selten, bei der Bohème praktisch regelmäßig
) und innerhalb weniger Augenblicke (wer weiß in solchen Momenten schon, wie lange sie dauern, dazu auch so ein Faust aufs Aug- Zitat:
"Werd ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zugrunde gehn!"
)
flennt die ganze Bank, die Japaner heulen mit mir alle um die Wette, nur meine Freundin bleibt ungerührt und schaut mich fassungslos an.
Ja, schon schade, irgendwie habe ich mich den Japanern in meiner Bank näher gefühlt als meiner Liebsten in dem Moment, so lieb ich sie sonst hatte.
Sie war aber halt einfach unmusikalisch, die Gute, was soll's, dafür kann man nix.
Sonst war sie aber wirklich ganz lieb, wir waren 7 Jahre zusammen, und im Radio haben wir immer gemeinsam Popmusik gehört. Mir gefällt sowieso alles, was mich nicht zu sehr nervt, ich bin einfach leicht zu unterhalten.
Und ja, der Erlkönig (und bist du nicht willig...) ist auch nicht schlecht
Der Osterspaziergang wäre wieder Faust, dazu fällt mir natürlich sofort wieder das daraus sehr Bekannte ein:
"Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!"
Edit edit:
Ich merke gerade beim noch und noch einmal durchlesen, wie snobistisch das alles eigentlich klingt, was ich da von mir gebe, aber ich hab's eigentlich genau so nicht gemeint, dass ich mich da von denen, die das nicht begeistert, würde abgrenzen wollen mit erhobener Nase und ebensolchem Zeigefinger, ich hab's wieder einmal nicht geschafft, fürchte ich, es so klar zu machen, wie ich wollte, gemeint hatte ich's mehr im Sinn von Schillers Ode an die Freude.
Ich bin halt kein Poet, höchstens fast einer im O'Neill'schen Sinn, oder so einer wie Tonio Kröger von Thomas Mann, aber hin und wieder muss ich einfach meine arme kleine poetische Ader doch auch schlagen lassen, wo, wenn nicht hier?