By Arno Nickel
Date 2016-03-10 01:59
Edited 2016-03-10 02:06
Da ich in einem anderen Thread zum Gothic Chess als Alternative zum vermeintlich aussterbenden Fernschach befragt wurde, meine Antwort aber etwas länger ausfällt und ich vor allem meine eigenen Ideen vorstellen will, beginne ich hier einen neuen Thread.
Zunächst meine Antwort (mit Gruß) an Frank Rahde:
Ich finde so manche Variation des Schachspiels interessant und bin gern bereit, damit aus Spaß und aus Erkenntnisinteresse zu experimentieren. Neulich stellte mir jemand seine "Weltneuheit" in Gestalt eines 10x8 Brettes mit 2 zusätzlichen Springern auf jeder Seite vor. Wir haben einige Schnellpartien gespielt, um einen ersten Eindruck und ein Gefühl für dieses Spiel zu gewinnen. Hauptsächlich rauchte einem gehörig der Schädel vor so vielen zusätzlichen Möglichkeiten.
Was letztlich irgendwann eine Alternative zum klassischen Schach werden kann, sei es mit revolutionären Ideen oder auch als schlichte Reform, steht in den Sternen. Es entscheidet sich am Grad der Beliebtheit, wobei kommerzielle Interessen darauf einen starken Einfluss haben, denn es wird heute alles (wirklich alles!) vermarktet.
Es hat Gründe, warum sich nur bestimmte Spielideen durchsetzen und als langlebig erweisen. Darüber muss man nachdenken. Das 8x8 Brett hat eine, wie es scheint, naturgegebene perfekte Ästhetik. Ich vermute, dass es deshalb gegenüber einem 10x8 Brett immer die besseren Chancen haben wird, die Massen zu begeistern.
Nicht zuletzt liegt ein wesentlicher Anreiz zur Faszination darin, dass eine Aufgabe zwar als anspruchsvoll und schwierig wahrgenommen wird, aber gleichzeitig auch als nicht zu schwierig. Theoriebildung muss als lohnenswertes Ziel erscheinen und darf nicht aussichtslos sein angesichts zu komplexer Probleme. Das würde ich beim Gothic Chess (blöder Name) befürchten. Die Masse der Schachspieler dürfte sich hier schlicht überfordert fühlen. Wenn man andererseits Gothic Chess mehr als Unterhaltungsspiel betreibt und keine höheren Ansprüche stellt, befriedigt es nicht in dem Maße, wie es eigentlich vom Schach erwartet wird.
Doch zum Fernschach...
"Fernschach-Triathlon"
Hinsichtlich der Remisproblematik und Computerproblematik des Fernschachs vertrete ich neben meinen bekannten Reformvorschlägen für geänderte Remisregeln (Stichwort Lasker-Schach) außerdem einen Ansatz, der das Fernschach wieder stärker an das Nahschach ankoppeln will. Das geht nicht durch Verbote zum Computergebrauch, sondern indem man dem Nahschach als Teilaspekt des Fernschachs wieder mehr Gewicht verleiht. Früher galt es als selbstverständlich, dass starke Fernschachspieler in der Regel auch gute Nahschachspieler waren. Natürlich gab es immer Ausnahmen, aber eben auch jede Menge prominente Nahschachspieler, die sich die Fernschachtitel holten. Ansetzen sollte man zunächst bei der Weltmeisterschaft als dem wichtigsten Wettbewerb, der eine enorme Ausstrahlung hat. Das könnte so funktionieren:
Die nach irgendeinem Modell qualifizierten Teilnehmer eines Fernschach-WM-Finale spielen nach ihrem Fernturnier zusätzlich ein Nahschachturnier und ein AdvancedChess-Turnier. Wie viele Teilnehmer dafür in Frage kämen, ist variabel, aber die Gesamt-Punktwertung sollte etwa folgende Gewichtung haben:
50% Fernschach
25% Nahschach
25% Advanced Chess
Diese Aufteilung ist relativ fernschachnah, kann aber auch Nahschachspieler ansprechen, die sich derzeit eher vom Fernschach fernhalten.
Als Modell schlage ich vor:
- 11 Spieler, die ein doppelrundiges Fernturnier austragen = 20 Partien pro Spieler;
- dieselben 11 Spieler tragen danach ein Nahschachturnier mit klassischer Bedenkzeit aus, pro Tag (vormittags) eine Partie;
- parallel zum Nahschachturnier tragen dieselben Spieler nachmittags jeweils eine Advanced Chess Partie aus, wobei die Farbe gegenüber dem Vormittag wechselt.
Beim Advanced Chess stellt der Sponsor für alle die gleiche Hard- und Software. Es ginge dabei nicht darum, ein Maximum an Computerpower einzusetzen (wie sonst beim Freestyle), sondern lediglich darum, einen gewissen Ausgleich für fehlendes Taktiktraining zu schaffen, also z.B. der Laptop für den "blunder check". Alle spielen mit haargenau derselben Ausstattung (inkl. Buch, Datenbank usw.).
Fernschach-Weltmeister wird, wer die höchste Punktzahl aus 40 Partien erreicht. Gespielt wird in einem 2-Jahres-Zyklus.
Fehlt nur noch der Sponsor, der einen solchen Modellversuch einer inoffiziellen Fernschach-WM ermöglicht. Vielleicht eine Computer-Firma, wenn nicht ein privater Mäzen? Interessierte und geeignete Spieler werden sich ohne Probleme finden lassen.