Hallo Dieter,
ich habe Dich ja schon mal persönlich getroffen und da ich selbst eifriger Fernschach-Spieler bin, möchte ich meine Meinung dazu kundtun.
zu a) Definiere bitte "Computerschach" und vor allem "Computerschächler"!
Ich nehme an, daß Du hier nicht Personen meinst, die das Werkzeug Computer nutzen um damit "irgendwas" in Richtung Schach machen - und sich auf dem CS-Forum tummeln.
Ich nehme vielmehr an, daß Du mit Computerschach die "Engine-Engine-Matches" meinst und mit "Computerschächler" die Personen, die diese Matches durchführen.
Dann musst Du aber einfach genauer hinsehen, wofür dies gemacht wird und ich führe hier einfach ein paar Beispiele auf:
1) Engine-Engine-Matches von Robert Houdart:
Er ist Software-Entwickler der derzeit stärksten Engine der Welt. Deshalb wird er sicher wissen wie man Hardware am besten einsetzt, um Änderungen an der eigenen Engine zu testen und herauszufinden, ob diese Änderungen die Engine (im Durchschnitt über viele Partien hinweg!!) verbessern.
Nehmen wir ein praktisches Beispiel: Welchen Nachteil in Bauerneinheiten hat eine mangelnde Königssicherheit? Dies ist alles andere als leicht zu bewerten und je Partie verschieden! Anscheinend ist die Technik heutzutage nicht wie früher sich einzelne Partien anzuschauen und dann aus den Fehlern Aufschlüsse zu ziehen, sondern pure Statistik anhand von Tausenden von Partien zu gewinnen.
So gesehen sind für ihn die Engine-Engine-Matches DAS Testverfahren für seine Engine - erstens kann er sehr stolz sein, die stärkste Engine der Welt weiter verbessern zu können und letzlich schlägt sich dies dann natürlich auch in finanziellen Erfolg nieder.
2) Engine-Engine-Matches wie sie auf TCEC (
http://www.tcec-chess.net/) gemacht werden:
Ich finde es super, diese Matches zu verfolgen. Auch das Chatten während der Partie ist ganz interessant - man kann hier z.B. die Gelegenheit nutzen, den Profis der Szene eine Frage zu stellen.
Es sind Matches mit sehr langer Bedenkzeit und damit durchaus ein respektabler Vergleich - wobei sich die Geister über den Nutzen streiten werden. Jedenfalls kamen teilweise sehr interessante Partien heraus, wo man "mit etwas Gefühl" die Stärken und Schwächen der Engines herauslesen kann.
3) Engine-Engine-Matches im Computerraum von Schach.de:
Auch diese dienen dazu, die neuesten Engines auszutesten. Außerdem kann jeder dort seine Eröffnungen ausprobieren - auch für Dich als Fernschachler interessant! So tummeln sich dort viele, die an Eröffnungsbüchern arbeiten. Auch ein Tuning an einer Engine ist möglich - Stichwort Rybka Dynamic/Human. Ich selbst habe einmal einfach getestet, wie stark meine Hardware im Vergleich zu den anderen ist. Dies ist ja einfach wenn die Gegner die gleiche Engine benutzen und man seinem PC eine Serie von Partien spielen lässt - dann ist die Computer-ELO durchaus vergleichbar.
4) Engine-Engine-Matches auf für das Fernschach. Hier nenne ich als Beispiele die "Monte-Carlo-Methode" mit der aus der Statistik sich (vorsichtige) Rückschlüsse zu einer Stellung ziehen lassen oder das Ausspielen einer Position mit verschiedenen Engines. Nicht zuletzt benutzt man auch Computer-Eröffnungsbücher (also z.B. im Chessbase-Format "ctg"), die zwar aus GM-Partien gemacht sein können oder eben auch aus Partien, die aus Engine-Engine-Matches bestehen.
Heutzutage kann kein gutes Computer-Eröffnungsbuch im Fernschach-Bereich mehr rein aus GM-Partien bestehen.
zu b) "merit function" war bei mir als Begriff nicht mehr präsent. Erkläre mir bitte was Du in diesem Zusammenhang meinst mit "erst ab 6 oder mehr Zügen".
Als Fernschach-Spieler gibt es ja schon bei einigen Stellungen gleich im ersten Zug während einer Partie gewaltige "Meinungsverschiedenheiten" zwischen den Engines. Einfach weil diese die Tausenden Faktoren, die es gilt, in einer Stellung zu berücksichtigen, unterschiedlich bewerten.
Da hilft es auch nicht, die Engine tagelang an der gleichen Stellung rechnen zu lassen.
Auch die Beschreibung "vorausschauende Führung der engines durch den Menschen" ist nur eine Facette von vielen. Manchmal ist es bei mir sogar so, daß bei einer Entscheidung zwischen mehreren Zügen die menschliche Intuition eine gewaltige Rolle spielt.
Und ist nicht Intuition konträr zur Voraussicht oder zumindest ergänzend?
zu c) GM-Schach ist natürlich heutzutage anders wie früher - und wir können die Partien live verfolgen und Houdini spuckt uns sofort die Fehler aus - und da meine obigen Ausführungen schon ellenlang sind, möchte ich lediglich auf den sehr interessanten kürzlich auf Chessbase erschienenen Artikel (leider habe ich diesen nicht in Deutsch gefunden) zum Kandidatenturnier hinweisen:
http://www.chessbase.com/Home/TabId/211/PostId/4009400/the-quality-of-play-at-the-candidates-090413.aspxUnter anderem kann man daraus (mit aller Vorsicht!) die provokante Aussage herauslesen, daß jeder Teilnehmer des Kandidatenturniers eine geringere Fehlerquote als z.B. Botwinnik hatte.
Viele Grüße,
Robert Bauer