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Up Topic Hauptforen / CSS-Forum / AlphaZero aus Fernschach-Sicht
- - By Arno Nickel Date 2017-12-10 18:34
AlphaZero läutet eine neue Epoche des Computerschachs ein, allerdings nicht so, wie es viele erwartet, erhofft oder befürchtet haben. Das KI-Programm AlphaZero spielt genauso wenig Schach im menschlichen Sinne wie die AlphaBeta-Minimax-Rechner. Das künstliche neuronale Netz funktioniert letztlich nach Wahrscheinlichkeitsberechnungen über den Ausgang simulierter Schachpartien; es enthält keine schachtheoretischen Informationen im menschlichen Sinne. Höchst erstaunlich und gegenwärtig noch eine Art “black box” ist, wie das Programm durch Maschinenlernen im Spiel gegen sich selbst zu einer immer gehaltvolleren selektiven Auswahl aussichtsreicher “Kandidatenzüge” gelangt.
Der frappierende Matchsieg gegen Stockfish 8 (64:36) darf nicht überbewertet werden, zeigt aber – was Fernschachspieler schon seit langem behaupten –, dass es jenseits der Computerberechnungen in landläufigen Suchtiefen (ca. 25-35 Halbzüge) Qualitätssprünge gibt, d.h. dass jenseits dieser Suchtiefe noch viel Raum für Verbesserungen in der Spielführung existiert, wenn es sich nicht gerade um verödete Stellungen handelt. Die von den Engines häufig angezeigte Remisbreite kann je nach Stellungstyp leichter kippen als man denkt, wenn denn die Stellung viele Ungleichgewichte enthält. Mit anderen Worten: der “Remistod” ist auch im Fernschach keineswegs so nah, wie oft behauptet; es gibt noch viel zu entdecken – was eine gute Nachricht fürs Fernschach ist, selbst wenn die durchschnittliche Remisquote gegen 90% strebt.
Zu wünschen sind aussagekräftigere Vergleiche von AphaZero mit Spitzenprogrammen wie Stockfish, Komodo und Houdini, die ihre volle Leistung in kritischen Stellungen erst in Suchtiefen 45-60 erreichen. Das muss nicht unbedingt umfangreiche Eröffnungsbücher einschließen, wie derzeit von vielen gefordert wird, aber ausreichende Rechenzeit und Speicherkapazitäten. Von dieser Erweiterung würden die Engines meiner Ansicht nach deutlich mehr profitieren als AlphaZero. Aus Fernschachsicht handelte es sich bei Stockfish 8 in der Testversion gegen AlphaZero um einen arg katastrierten Stockfish, wie mit Tord Romstad auch einer der Stockfish-Programmierer in einer ersten Stellungnahme deutlich darlegte. Viele der im ersten Match gegen AlphaZero offenkundigen Horizontfehler würden damit ausgeschlossen werden.
Parent - - By Frank Brenner Date 2017-12-10 18:41 Edited 2017-12-10 18:43
Zitat:
Zu wünschen sind aussagekräftigere Vergleiche von AphaZero mit Spitzenprogrammen wie Stockfish, Komodo und Houdini, ....


Google interessiert das allerdings gar nicht. Google geht es nur um die Maximierung von Einfluß, Macht und Gewinn.

So ein Vergleich den du vorschlägst würde wahrscheinlich die Werbewirksamkeit der Presseverlautbarungen über die erfolgreiche "Intelligenzforschung der Google-Company"  der letzten Zeit relativieren.

Das wäre das letzte was Google machen würde.
Parent - By Klaus S. Date 2017-12-10 20:22
Das befürchte ich allerdings auch.
Parent - By Peter Martan Date 2017-12-10 20:52 Edited 2017-12-10 21:17
Naja, das war ja auch meine Befürchtung, gerade was Fernschachbedingungen angeht, der Zeit- Hardware- Einsatz für die zu erwartende minimale schachliche und werbetechnisch- ökonomische Gewinnaussicht lohnt sich vordergründig vielleicht halt schon einfach am wenigsten für Google, auch wenn die dadurch geforderte schachliche Leistung in der einzelnen Partie wohl am größten wäre.

Auch ist der Erkenntnisgewinn quantitativ sowohl für die eine als auch für die andere Seite natürlich in der Zeiteinheit am kleinsten.

Drum denke ich halt nach wie vor, weniger suboptimale Bedingungen für weitere Spielstärkenvergleiche wären in aufsteigender Reihenfolge:

1. Mehr und besser einzuteilende Bedenkzeit für die allein spielende Engine, ein gutes Buch (auch wenn das vielleicht leicht gefordert und schwer realisiert wäre, Cerebellum ist z.B. möglicherweise zu sehr Computerschach- optimiert) und insgesamt eine bessere Hardware- Zeit- Nutzung durch die Engine.

2. Ein paar gute Freestyle- Spieler oder -Teams, um für den größeren Zeit- Hardware- Einsatz die menschliche Unterstützung auf Datenbank- und Eröffnungstheoriebasis in der beschränkten Zeit optimal einzubringen und A0 gleichzeitig mit mehr als einem Gegner in einem Turnier zu testen.

3. Programmierer- Schachspieler- Software- Hardware- Cluster im weiteren Sinn, wie Timo Haupt vorschlägt, damit könnte man theoretisch die am genauesten auf die Anforderung zugeschneiderte Hardware- Software- Manpower- Zeitleistung erreichen.

Mir scheint momentan am wichtigsten, Googles Interesse an irgendwelchen medienwirksamen Spektakeln zu wecken bzw. zu erhalten.
Dass die Interessen dieser Firma auch nur ähnlich denen sind, was (Computer-) Schachspieler sportlich und oder wissenschaftlch interessiert, ist leider a priori nicht anzunehmen.
Parent - - By Olaf Jenkner Date 2017-12-10 22:57 Upvotes 1
Zwar glaube ich auch daß es Google um Einfluß, Macht und Gewinn geht. Das ist das typische Verhalten von Unternehmen im Kapitalismus, ansonsten gehen sie unter.
Sie werden aber ein Programm bauen, welches Stockfisch unter für ihn optimalen Bedingungen deklassiert. Hat denn noch keiner bemerkt, daß es die erste Meldung über ein derartiges Programm war? Im Go hatte Google auch bei der ersten Meldung ein deutlich schwächeres Programm am Start.
Google hat jetzt die Technik und die nahezu unbegrenzten Ressourcen, das Computerschach umzukrempeln. Sie werden es tun.
Parent - By Benjamin Bahnsen Date 2017-12-11 01:09
Olaf Jenkner schrieb:

Zwar glaube ich auch daß es Google um Einfluß, Macht und Gewinn geht. Das ist das typische Verhalten von Unternehmen im Kapitalismus, ansonsten gehen sie unter.
Sie werden aber ein Programm bauen, welches Stockfisch unter für ihn optimalen Bedingungen deklassiert. Hat denn noch keiner bemerkt, daß es die erste Meldung über ein derartiges Programm war? Im Go hatte Google auch bei der ersten Meldung ein deutlich schwächeres Programm am Start.
Google hat jetzt die Technik und die nahezu unbegrenzten Ressourcen, das Computerschach umzukrempeln. Sie werden es tun.


Ich kenne wenige Konzerne, bei denen die Diskrepanz zwischen "Ankündigen" und "Liefern" so groß ist wie bei Google. Und Google wird kein Programm bauen, dass Stockfish deklassiert, denn Stockfish kann man nicht deklassieren. Ich bin da nah bei GM Nakamura, der sagte: "I am pretty sure God himself could not beat Stockfish 75 percent of the time with White without certain handicaps."
Parent - By Peter Martan Date 2017-12-10 21:07 Edited 2017-12-10 21:09
Hallo Arno!
Arno Nickel schrieb:

Das muss nicht unbedingt umfangreiche Eröffnungsbücher einschließen

Nein, im Gegenteil wäre natürlich ein schmal editiertes Buch, das möglichst genau die gerade gegen dieses Programm optimalen Varianten unter Ausschluss der weniger guten selektierte, das einzig Wahre.

Nachdem man den Gegner aber absolut nicht kennt und ihn auch nicht einschätzen kann, wäre das Buchmachen hier eine echt schwere Aufgabe, ich würde schon sagen, dass Fernschachspieler diejenigen wären, die am meisten beitragen könnten.
Man darf aber auch nicht vergessen, dass das Buch auf die Zeitvorgaben zugeschnitten sein müsste, bei jeder Art von over the board- Match wären vielleicht wieder die Freestyler und die Buchmacher unter den versierten Enginespielern erfahrener, halt leider auch nur im Umgang mit bekannten Engine- Buch- Mensch- Entitäten.

Bei dem, was da jetzt veranstaltet wurde, wäre ein breites Buch mit einer gewissen Ausspiel- Varianz aber schon deshalb viel besser gewesen als gar keines, vielleicht sogar auch besser als ein falsch editiertes "Killerbuch", weil es wenigstens verhindert hätte, dass sich A0 auf das Produzieren von Dubletten und das damit verbundene optimale Lernen im Spiel nicht hätte so erfolgreich stützen können.
Glaube ich halt, es käme auch und gerade da natürlich erst mal auf den Versuch an.
Parent - By Ludwig Buergin Date 2017-12-10 22:12
Hallo Arno

   Danke Dir für Dein interessantes Schreiben.Du schreibst:Remisbreite kann je nach Stellungstyp leichter kippen als man denkt.
Beim Analysieren derSpiele sind mir öfters  solche Spielzustände aufgefallen.Auch macht das Programm  etwa 75 bis 80 % die gleichen Züge wie Stockfish.Also von tollen errechneten Zügen kann ich nicht viel sehen.Vermute die Google-Programmierer sind Anhänger des Jiu-Jitsu Gedanken,was man am Aufbau ihres Spieles zu sehen glaubt.
  

Gruß Ludwig
Parent - - By Roland del Rio Date 2017-12-11 09:06
Arno Nickel schrieb:

Höchst erstaunlich und gegenwärtig noch eine Art “black box” ist, wie das Programm durch Maschinenlernen im Spiel gegen sich selbst zu einer immer gehaltvolleren selektiven Auswahl aussichtsreicher “Kandidatenzüge” gelangt.


Hallo Arno.

Die Entwickler gehen offen mit dem Thema um wie AlphaZero "lernt":

https://www.nature.com/articles/nature24270.epdf?author_access_token=VJXbVjaSHxFoctQQ4p2k4tRgN0jAjWel9jnR3ZoTv0PVW4gB86EEpGqTRDtpIz-2rmo8-KG06gqVobU5NSCFeHILHcVFUeMsbvwS-lxjqQGg98faovwjxeTUgZAUMnRQ

Viele Grüße

Roland
Parent - - By Ingo Althöfer Date 2017-12-11 11:33 Upvotes 1
Hallo Herr del Rio,

Roland del Rio schrieb:

Die Entwickler gehen offen mit dem Thema um wie AlphaZero "lernt":
https://www.nature.com/articles/nature24270...%5b/quote%5d


sorry, aber da geht es NICHT um AlphaZero, sondern "nur"
um AlphaGo Zero.

Zu AlphaZero kennt die Öffentlichkeit nur das arxiv-Preprint,
bei dem etliches im Unklaren gelassen ist. Sollte DeepMind versuchen,
dieses Preprint bei einer seriösen Zeitschrift zu publizieren, werden sie
in vielen Details konkreter werden müssen.

Ingo Althöfer.
Parent - - By Roland del Rio Date 2017-12-11 19:21
Hallo Herr Althöfer.

Das schachspielende AlphaZero hat die gleichen Lernalgortihmen wie AlphaGoZero. Wenn man sich dafür interessiert würde ich empfehlen sich diesen Artikel anschauen. Es würde mich nicht wundern, wenn es keine sonderlich ausführlichen Veröffentlichungen bzgl. der beiden Schach-Tests geben würde. Die Portierung der Algorithmen auf eine anderes Problem der gleichen Klasse ist für einen weitere "seriöse" Publikation kaum ergiebig genug.
Parent - By Peter Martan Date 2017-12-11 19:44
Roland del Rio schrieb:

Es würde mich nicht wundern, wenn es keine sonderlich ausführlichen Veröffentlichungen bzgl. der beiden Schach-Tests geben würde. Die Portierung der Algorithmen auf eine anderes Problem der gleichen Klasse ist für einen weitere "seriöse" Publikation kaum ergiebig genug.

Das ist eben auch genau meine Befürchtung, Roland, dass es das dann schon war mit Google und Schach. Wenn da nicht einmal ein ordentliches Papier herausschaut, wozu sollte Google dann weitere Tests machen und A0 weiter lernen lassen? Etwa, um ein Schachprogramm auf den Markt zu bringen, der schon mit Freeware- Engines weit über dem over the board- Spielstärkeniveau der stärksten menschlichen Schachspieler, selbst auf Taschenrechnern, längst mehr als gesättigt ist?
Fändest du das aber nicht auch etwas schade, wenn es da keinerlei weiteren Anreiz mehr gäbe, sich der Sache weiter anzunehmen?
Wenn schon der wissenschaftliche Anreiz fehlt, wie groß wird dann wohl der sportliche sein?
Und woher soll dann der wirtschaftliche Anreiz kommen, der ja vermutlich doch der einzig für Google zählende ist?

Versteht hier langsam jemand, warum ich da nicht aufhöre, rumzunörgeln?

Natürlich könnte ich auch in den allgemeinen Begeisterungssturm einstimmen, ja, ok, bin eh begeistert.

Ich glaube auch nicht, dass Google deshalb schon zufrieden sein wird, weil ich es bin, wird also wohl nichts schaden, nützen aber wohl auch nicht, oder?
Dann kann ich schon auch gleich endlich aufhören, über die Sache rumzuschwätzen, was ich jetzt sowieso hoffentlich endlich tue, aber was, wenn sich Google dann erst recht denkt, wenn sogar die Computerschächer in ihren Foren nur Begeisterung zeigen, ist ja wohl alles an Applaus Erreichbare erreicht, so what?
Parent - - By Roland del Rio Date 2017-12-11 10:46
Arno Nickel schrieb:

Zu wünschen sind aussagekräftigere Vergleiche von AphaZero mit Spitzenprogrammen wie Stockfish, Komodo und Houdini, die ihre volle Leistung in kritischen Stellungen erst in Suchtiefen 45-60 erreichen. Das muss nicht unbedingt umfangreiche Eröffnungsbücher einschließen, wie derzeit von vielen gefordert wird, aber ausreichende Rechenzeit und Speicherkapazitäten. Von dieser Erweiterung würden die Engines meiner Ansicht nach deutlich mehr profitieren als AlphaZero. Aus Fernschachsicht handelte es sich bei Stockfish 8 in der Testversion gegen AlphaZero um einen arg katastrierten Stockfish, wie mit Tord Romstad auch einer der Stockfish-Programmierer in einer ersten Stellungnahme deutlich darlegte. Viele der im ersten Match gegen AlphaZero offenkundigen Horizontfehler würden damit ausgeschlossen werden.


Und während (Computer-/Fern-)Schachforen sich noch über die Fairness des Tests von AlphaZero gegen SF diskutiert wird (und schon Wunschlisten für einen neuen Vergleich aufgestellt werden), zieht die AZ zugrundeliegen Methode in wirklich relevante Gebiete unseres digitalen Lebens ein: http://export.arxiv.org/pdf/1712.01208 Schach war beeindruckend, hier wirds spooky.
Parent - - By Arno Nickel Date 2017-12-11 12:51
Du rennst offene Türen ein, Roland, aber es ist doch klar, dass die Schach-Community gern verlässlichere Angaben darüber haben möchte, wie stark AlphaZero - Stand heute - tatsächlich ist und wie es funktioniert. Da möchte man nicht mit Marketing-Artikeln abgespeist werden, wo die Grenzen zwischen Information und Desinformation fließend sind. Es geht weniger um "Fairness", was eine moralische Kategorie ist, als um Transparenz und Aussagekraft. Spannende Zeiten stehen uns bevor - und hoffentlich nicht allzu gruselige, was die Macht der IT-Riesen betrifft.
Parent - By Thorsten Czub Date 2017-12-11 13:22
PGNs sind erst einmal PGNs.
Und man kann die Partien nachspielen.
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