Jeder von uns "alten Schachspielern" kennt es. Man sieht eine Partie, erinnert sich an einen Zug, eine Zugfolge oder gar an eine Kombination. Im Laufe des Lebens - oder sollte ich heute sagen: beim Durchsehen der Datenbanken - gibt es immer mehr von diesen alten ideellen Perlen. Trotzdem, nur wenige Partien bleiben immer abrufbar - eingebrannt. Als Patzer erinnere ich mich natürlich an der Turmwanderung f7-g7-h7 aus Steinitz - Bardeleben, aber die Position habe ich, im Gegensatz zu den Profis oder besseren Amateuren, nicht im Kopf sondern müßte sie nachschlagen. Ich erinnere mich an Alekhine -Niemzovich San Remo 1930, wo der Kampf am Damenflügel alle Figuren fesselt und Weiß mit 30. h4 dann den Schluß setzt. Aber ich bin kein Zeitzeuge von Lasker, Capablanca und Co, sondern gehöre der K&K-Generation an. Erst Karpov-Korchnoi, später Karpov-Kasparov. Schon für Kasparov-Short konnte ich mich nicht mehr so stark begeistern, obwohl das weder Nigel, noch den nachfolgenden Herausforderern und Weltmeistern gerecht wird. Jedem wie er mag. Denke ich also 2015 mal 30 Jahre zurück, dann ist Karpow noch Weltmeister, der Abbruch ist hier keine Diskussion wert. Ich fühlte mich ohnehin immer mehr Kasparov hingezogen, nicht nur, weil er eher in meinem Alter ist, sondern auch sein Spielstil gefiel mir stets besser. Na ja, wer Adolf Anderssen, Mischa Tal etc. mag...

Abseits des Brettes möchte ich nicht über die Spieler eine Wertung abgeben, jeder hat auf seiner Weise seinen Beitrag geleistet. Es gibt eben nicht nur die Guten und nur die Bösen.

Extrem überrascht war ich aber von Karpov mindestens einmal. Völlig fern seines eigentlichen Stils spielte er am 25.08.1986 eine sehr schöne Partie. Sie endete Remis und verlor im Laufe der Zeit immer mehr an Beachtung. Doch ich erinnere mich gut, als ich beim Nachspielen aus der Zeitung ( damals gab es noch keine Internetübertragung ) zu der Stellung nach 14. ... e5 kam.



15. Txc6 war damals eine Neuerung und so gar nicht Karpowgemäß. Doch es sollte noch verwirrender werden. Interessante Springermanöver und dann im 23. Zug opfert Karpov sogar eine Figur ( auch wenn es heute schnell nachweisbar ist, daß dies der einzige Zug/ die einzige Variante scheint ) - ich war mächtig beeindruckt.



Das man in fremden Gewässern aber nur wenig Fische kennt überrascht nicht. So könnte es sein, daß Karpov den Gewinn im 24. Zug auslässt und auf Damentausch geht. Da ist er wieder, der strategische Positionsspieler, der angeblich kaum Fehler macht.
An 24. Sxg6+ muß er gerechnet haben, denn es ist ein offensichtlicher Zug und da die schwarzen Reaktionen beschränkt bleiben eine meines Erachtens interessante Frage, ob Tolja den Gewinn ausgelassen hat, oder ob die alternativ ebenfalls bessere Stellung sich ebenfalls ins Remis verflüchtigt hätte. Doch allein diese Frage beinhaltet weitere, hatte er vielleicht zuviel Zeit verloren und wählte lieber eine sichere Abwicklung um nicht in taktische Gewässer zu schlittern und an Zeitnot zu Grunde zu gehen? Wie auch immer, diese Partie wird mir genauso in Erinnerung bleiben, wie die legendäre 16. Partie im Oktober 1986 - und diesmal klatsche ich eben dem Anatoli Beifall für seine Idee und seinen Mut.

Euch allen frohe Ostern ( und danke für euer Interesse und eure Antworten unlängst zu "Mr. Meises" )

[Event "World Championship 33th-KK3"]
[Site "London/Leningrad"]
[Date "1986.08.25"]
[Round "11"]
[White "Karpov, Anatoly"]
[Black "Kasparov, Garry"]
[Result "1/2-1/2"]
[ECO "D93"]

1. d4 Nf6 2. c4 g6 3. Nc3 d5 4. Bf4 Bg7 5. e3 c5 6. dxc5 Qa5 7. Rc1 dxc4 8.
Bxc4 O-O 9. Nf3 Qxc5 10. Bb3 Nc6 11. O-O Qa5 12. h3 Bf5 13. Qe2 Ne4 14. Nd5 e5
15. Rxc6 exf4 16. Rc7 Be6 17. Qe1 Qb5 18. Ne7+ Kh8 19. Bxe6 fxe6 20. Qb1 Ng5
21. Nh4 Nxh3+ 22. Kh2 Qh5 23. Nexg6+ hxg6 24. Qxg6 Qe5 25. Rf7 Rxf7 26. Qxf7
Ng5 27. Ng6+ Kh7 28. Nxe5 Nxf7 29. Nxf7 Kg6 30. Nd6 fxe3 31. Nc4 exf2 32. Rxf2
b5 33. Ne3 a5 34. Kg3 a4 35. Rc2 Rf8 36. Kg4 Bd4 37. Re2 Bxe3 38. Rxe3 Rf2 39.
b3 Rxg2+ 40. Kf3 Rxa2 41. bxa4 1/2-1/2