Das sind interessante Erörterungen wie ich finde, umso mehr als ich selber ad hoc keine Gründe aufzählen konnte, warum ich manche GM-Turniere gerne kibitze. Für mich war das
"a priori" so. Mich interessieren aber auch manche Computerturniere. Man findet oft etwas attraktives in beiderlei, ebenso kann man von beidem hin und wieder enttäuscht werden (z.B. WM Anand-Gelfand
).
Computerschach braucht längst nicht mehr um Anerkennung von Spitzenklasse zu ringen, sondern ist ja längst als gottähnliche
"Übermacht" akzeptiert und etabliert. Daß die Top-GM demzufolge nicht mehr den Anspruch stellen können - aber auch nicht müssen - das "objektiv" stärkste Schach zu spielen, ist ja für diese gewissermaßen auch eine Befreiung. Jeder spielt eben auf seinem Niveau.
Daß Turniere wie Tata hauptsächlich unabhängig vom schachlichen Inhalt beliebt sind, zweifle ich an. Sicherlich spielt eine Art Promifaktor dieser weltbekannten Topspieler und -innen eine Rolle. Dasselbe kann man aber auch über die bekannten Engines sagen. Wir verbinden Gesichter damit, haben ihre u.U. schon langjährige Karriere verfolgt, Höhen und Tiefen, usw.usf.
Die Fehler welche Menschen unterlaufen, sind für mich nicht so wichtig wie die starken Züge, die sie andererseits finden. Manchmal ist so ein Zug, wo ein Hobbyspieler wie ich sehr staunt, die Widerlegung eines für's menschliche Auge nicht offensichtlichen Fehlers. Ob Computer das in 10, 1 oder 0,1 Sekunden vollkommen durchschauen, trübt für mich den Unterhaltungswert nicht. Außerdem wird ohne Fehler alles remis, sich dabei noch zu amüsieren wäre viel schwieriger als wenn ein Resultat im Prinzip offen ist.
Heute habe ich nur zwei Schlußphasen gekibitzt:
Van Wely-Yifan Hou und
Nakamura-Sokolov. Beides nicht bereut.
Hou war dank des A-Bauern hier am Gewinnen. Van Wely zog nun das perfide
57.c5, ein Zug den man im Computerschach kaum sehen wird, es sei denn eine Engine hat Lucky Punch-Algos. Nun hätte, wie Engines sofort zeigen (nur!) einfach 57...a2 gewonnen. Doch Hou ging in die Falle: 57...Sxc5? - man traut sich kaum ein Fragezeichen zu setzen - und plötzlich wurde es remis! Wodurch?
Die Widerlegung von Sxc5 ist überraschend und unterhaltsam; hätte ein Computer beim 57. Zug für Schwarz übernommen, wäre das ganze nicht auf's Brett gekommen.
(Ich habe den Stand der Uhren nicht gesehen.)
In Nakamura-Sokolov gab es ein schweres, tablebase-nahes Endspiel zu sehen:
Schwarz am Zug. Ein noch kleinerer Endspielvorteil ist kaum vorstellbar: Weiß hat den Freibauern, und der Läufer kann sich wahlweise auf d6 oder b4 gedeckt aufstellen. Doch es gibt einen Gewinnweg! Ich bin nicht mehr 100%ig sicher, aber ich
glaube es war hier beim 75. Zug, wo ich mit Stockfish(*) schon zweistellige Evals zu Gunsten von Schwarz hatte: 75...Te2+ gewinnt irgendwie... Ist natürlich jenseits meines Horizontes. Leider fand Sokolov das nicht, was man ihm wohl nicht vorwerfen darf, es ist unglaublich schwierig. Dennoch unternahm er noch einen instruktiven Gewinnversuch, doch Nakamura machte nichts mehr falsch.
*) Die Spezialversion 2.1.1. + 4er-Gaviotas konnte das sogar auf meiner Gurke herausrechnen. Nachträglich bekomme ich das nicht mehr so schnell hin, weil mir die Hashinhalte vom ganzen Kibitzen fehlen.
Analysis by Stockfish 2.1.1 PA GTB Gran2c:
75...Re2+ 76.Kg1 Rg2+ 77.Kh1 Kg3 78.e6+ Kh3 79.e7 Re2 80.Kg1 Rxe7 81.Bb8 Rf7 82.Bd6 Rf6 83.Bb8 Rf3 84.Bd6 Rf7 85.Bb8 Kg4 86.Kg2 Rb7 87.Be5 Kf5 88.Bh8 Ke6 89.Kf2 Kd5 90.Ke1 Rb3 91.Bg7 Rxa3 92.Kd1 Rb3 93.Kc2 Kc4 94.Bf8 a3 95.Bd6 a2
-+ (-3.54 ++) Depth: 7/11 00:00:00 3kN, tb=5
-+ (-10.70 ++) Depth: 38/64 00:05:29 92680kN, tb=380Beide Partien wird man sicherlich demnächst in verschiedenen Quellen kommentiert vorfinden.
Im Gegensatz dazu kann ich vermelden: Das hier unlängst erwähnte starke Engineturnier auf Octo-Xeon habe ich lang und breit durchforstet, aber nichts vergleichbares entdeckt was der Erwähnung wert wäre. Mag sein daß die Partien auf einem 300 oder 400 Elo höheren Niveau sind und viel weniger Fehler enthalten als die in Wijk, aber was habe ich davon?