Patrick, ich wünsche Deiner Initiative viel Erfolg und bin gern bereit, in der einen oder anderen Form mitzuwirken. Allerdings ist es gar nicht so leicht, die richtige Aufstellung für so ein Match zu finden. Darüber muss noch nachgedacht werden, wobei ich folgenden Hintergrund sehe:
Im Spitzenfernschach bewegt sich nur noch etwas, wenn Spieler bereit sind, Risiken einzugehen, oder sich unwissentlich auf eine zweifelhafte bzw. unklare Eröffnungsvariante einlassen. - Ich spiele derzeit ein Turnier der Kategorie 16 (Elo-Schnitt über 2625, u.a. mit dem Weltranglistenersten Papenin, der nebenbei bemerkt auch ein FIDE-IM ist), in dem alle Partien live mit einer Verzögerung von 5 Zügen einsehbar sind.
http://www.iccf-webchess.com/EventCrossTable.aspx?id=26550In diesem Turnier werden nach meiner Schätzung von den 78 Partien mehr als 70 remis ausgehe. Das bedeutet eine Remisquote von über 90 %. Die Situation gegenüber vor 10 Jahren hat sich dramatisch verändert.
Ein anderes, fast beendetes Turnier (Kat. 13), das ich mit dem Gewinn meiner letzten Partie für mich entscheiden werde, zeigt ebenfalls über 90 % Remisen:
http://www.iccf-webchess.com/EventCrossTable.aspx?id=24225Wie sich zeigt, hängt alles zunehmend von der Wahl der Eröffnungsvarianten ab. Spieler neigen heute dazu, mit Schwarz auf "Nummer sicher" zu gehen und können dabei auf einen großen Fundus in den aktuellen Datenbanken zurückgreifen. Dagegen kommt man mit Weiß nur an, wenn man eine scheinbar gesicherte Variante widerlegt (das passiert aber ziemlich selten) oder jedenfalls den Gegner - möglicherweise bei eigenem Risiko! - auf unsicheres Terrain lockt, und das vielleicht schon ziemlich frühzeitig.
Engine stand-alone ist zwar noch wieder eine andere Sache, aber auch hier müsste das Gespann Mensch/Maschine, nennen wir es Zentaur, bereits in der Eröffnung ansetzen, um ein Match über mehrere Partien eventuell knapp zu gewinnen, wobei ich jetzt mal von optimaler Engine-Gegenwehr ausgehe (gutes Buch und starke Hardware).
Die Partien dürften, wie der Kampfverlauf insgesamt, durchaus interessant werden, schon allein wegen des hohen Inputs von beiden Seiten. Ob das Ergebnis allerdings viel aussagen kann, lasse ich mal dahingestellt sein. Es könnte sich alles auf die Frage zuspitzen, warum bestimmte Eröffnungsstellungen aufs Brett gekommen sind, und das hat dann mit der eigentlichen Fragestellung nicht mehr allzu viel zu tun.
Es scheint mir eine Überlegung wert, ob man nicht ganz auf Eröffnungsbücher verzichten sollte, um vom ersten Zug an eine Auseinandersetzung pur anzustreben. Die Erfahrungen der Fernschachanalysen zeigen nach wie vor, dass entscheidende Weichenstellungen in Partien, speziell bei Übergängen vom Mittelspiel ins Endspiel sowie bei "strategischen" Tauschhandlungen und Bauernzügen, sowohl von großen Rechentiefen als auch von menschlichen Bewertungen abhängen. Beides ließe sich unbeeinflusst von Eröffnungsbüchern eventuell klarer herausarbeiten.
Eine weitere Frage: Kämen auf Engineseite nicht Cluster- und Cloud-Unterstützung optional in Frage?
Schließlich zeigt die Erfahrung ebenfalls, dass die menschliche Seite aus verschiedenen Gründen viel Bedenkzeit benötigt, um entscheidende Weichenstellungen zu antizipieren und sauber zu analysieren. Eine Bedenkzeit von 1 oder 2 Tagen, wie in meinem damaligen Show-Match (in dem ich noch laufend 6 Partien live kommentiert habe, auf Deutsch wie auf Englisch) ist kontraproduktiv für jemanden, der noch andere Dinge im Leben zu tun hat, als diese Partien zu spielen.
Gruß
Arno