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Up Topic Hauptforen / CSS-Forum / 3-Züge-Gesetz von Oskar Cordel
- - By Ingo Althöfer Date 2012-03-27 10:56
Hallo allerseits,

von Tarrasch kennt man die Aussage: "In (fast) jeder Schachstellung
gibt es einen eindeutig besten Zug (und der Schachmeister muss ihn finden)".

Ein Zeitgenosse von Tarrasch war der Schachjournalist (und Rosenzüchter)
Oskar Cordel. Nach ihm ist unter anderem die Eröffnung
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 Lc5 im Spaner benannt (Cordel-Variante; ECO C64).

Cordel hat auch eine "Theorie und Praxis des Schachspiels" geschrieben,
direkt veröffentlicht nach seinem Tode im Sommer 1913. Bemerkenswert
ist sein 3-Züge-Gesetz.
Cordel behauptet darin:
In (fast) jeder Schachstellung gibt es entweder einen eindeutig besten Zug
oder (mindestens) drei etwa gleichgute (beste) Züge.


Weil das Buch von Cordel nur noch antiquarisch verfügbar (und sehr teuer) ist,
habe ich Fotos von der kritischen Seite und des Titelblattes ins Internet gehängt.

http://www.althofer.de/cordel-p302.jpg
http://www.althofer.de/cordel-title-volume2.jpg

Meine Doktorandin Lisa Schreiber hat in ihrer (fast fertigen) Dissertation mit Hilfe
von Eiko Bleicher statistisch analysiert, dass in den Schach-Endspiel-Datenbanken
(3-Steiner bis 6-Steiner) tatsächlich Stellungen mit genau zwei besten Zügen relativ selten sind.

Ingo Althöfer.
Parent - - By Kurt Utzinger Date 2012-03-27 12:01
Lieber Herr Althöfer

Wirklich interessant. Kann man davon ableiten - wie ich das
verstehe, dass

a)
In der Eröffung

b)
Im Mittelspiel

stets zwei bis drei gleichtwergie Züge vorhanden sind? Dass dies
im Endspiel bei wenig Material auf dem Brett nicht mehr zutreffen
kann, erscheint mir ebenso logisch.

Freundliche Grüsse
Kurt Utzinger
Parent - - By Ingo Althöfer Date 2012-03-27 12:08
Lieber Herr Utzinger,

[quote="Kurt Utzinger"]
Wirklich interessant. Kann man davon ableiten - wie ich das
verstehe, dass

a) In der Eröffung

b) Im Mittelspiel

stets zwei bis drei gleichwertige Züge vorhanden sind?
[/quote]

Das weiss ich nicht. Es ist ja auch nicht so leicht, in Eröffnung
oder Mittelspiel herauszufinden, wieviele optimale Züge es gibt.
Cordel hatte jedenfalls seine "Einsicht" im wesentlichen durch Eröffnungs-
Studien gewonnen.

Cordels Regel trifft z.B. auch beim Nim-Spiel zu: dort hat man zwei Spieler
und drei Haufen mit Streichhölzern. Die Spieler ziehen abwechselnd. Wer
dran ist, darf von einem der Haufen beliebig viele Hölzer wegnehmen.
Sieger ist, wer am Ende das letzte Holz nimmt.
Man kann beweisen: Jede Gewinnstellung hat genau ein oder drei
Gewinnzüge!

(Bei der Zwei-Haufen-Version gilt sogar Tarrasch: Dort hat jede Gewinnstellung
genau einen gewinnenden Zug.)

Ingo Althöfer.
Parent - - By Michael Scheidl Date 2012-03-27 15:26
Solche Behauptungen wie "ein bester Zug" oder wie "drei gleichwertige Züge" im Schach sind pure Metaphysik, die ihrer Natur nach - ausgenommen banale Stellungen die mit geringer Rechentiefe beweisbar sind - sich der Beweisbarkeit entziehen.

War es nicht Tarrasch, der (sinngemäß) auch geschrieben hat: Man suche stets auch nach dem zweitbesten Zug, denn womöglich erweist sich dieser sogar als der beste?
Parent - By Ingo Althöfer Date 2012-03-27 16:05
[quote="Michael Scheidl"]
Solche Behauptungen wie "ein bester Zug" oder wie "drei gleichwertige Züge"
im Schach sind pure Metaphysik,


Richtig. Und der Lehrsatz von Tarrasch war ja auch Mitauslöser dafür,
dass der Mathematiker Ernst Zermelo 1912 seine grundlegende Arbeit
zur Spielbaumsuche geschrieben hat, mit dem Titel
"Über eine Anwendung der Mengenlehre auf die Theorie des Schachspiels".

Im Internet findet man die Arbeit von Zermelo z.B. hier
http://www.socio.ethz.ch/publications/spieltheorie/klassiker/Zermelo_Uber_eine_Anwendung_der_Mengenlehre_auf_die_Theorie_des_Schachspiels.pdf
Zumindest der erste Abschnitt ist auch für Nichtmathematiker lesenswert, ebenso der Schluss-Satz.

Von Neumann und Morgenstern haben den Zermelo'schen Zugang in ihrem Buch von
1944 dargestellt - und das Buch wiederum hat Shannon in seiner Arbeit von 1950
zitiert. Der Hauptunterschied zwischen Zermelo und Shannon ist, dass Shannon nicht
den ganzen Baum generiert, sondern auch t Halbzügen abschneidet und künstlich
bewertet.

Zitat:

War es nicht Tarrasch, der (sinngemäß) auch geschrieben hat: Man suche stets auch nach dem zweitbesten Zug, denn womöglich erweist sich dieser sogar als der beste?


Ich kenne den Vorbehalt von Tarrasch in etwas anderer Form: Man soll nicht voreilig
einen Zug als den besten proklamieren, sondern erst in Ruhe die Möglichkeiten
durchgehen; vielleicht ist ein anderer noch besser.

Ingo Althöfer.
Parent - - By Ingo Althöfer Date 2012-03-27 16:31
[quote="Michael Scheidl"]
Solche Behauptungen wie "ein bester Zug" oder wie "drei gleichwertige Züge" im Schach sind pure Metaphysik
[/quote]

Aber wenn man beide Aussagen vergleicht, so ist die von Cordel
wohl eine bessere Annäherung an die Realität als die von
Tarrasch.

Ingo Althöfer.
Parent - By Michael Scheidl Date 2012-03-27 18:33
Cordel ist realistisch, wenn wir einen begrenzten Erkenntnishorizont in Betracht ziehen. Wobei man allerdings die Anzahl (vermutlich) gleichwertiger Züge-Kandidaten nicht auf drei begrenzen sollte...

Rein intuitiv - ohne es beweisen zu können - fühle ich aber daß Tarrasch recht hat, wobei wir natürlich "banale" Fälle ausklammern.
Parent - - By Christian Schmidt Date 2012-03-27 15:40
[quote="Ingo Althöfer"]Das weiss ich nicht. Es ist ja auch nicht so leicht, in Eröffnung
oder Mittelspiel herauszufinden, wieviele optimale Züge es gibt.
Cordel hatte jedenfalls seine "Einsicht" im wesentlichen durch Eröffnungs-
Studien gewonnen.
[/quote]

Guten Tag Herr Althöfer,

bietet sich nicht da der Einsatz einer Engine im Multivariantenmodus an? Man könnte auf diese Art erkennen, ob es z. B. unter Heranziehung des Medians tatsächlich drei annähernd gleichwertige Züge gibt und wie hoch die Varianz bzw. die Standardabweichung ist.

Gruß

Christian Schmidt
Parent - By Ingo Althöfer Date 2012-03-27 18:59
Hallo, Herr Schmidt,

[quote="Christian Schmidt"]
bietet sich nicht da der Einsatz einer Engine im Multivariantenmodus an?
Man könnte auf diese Art erkennen, ob es z. B. unter Heranziehung des
Medians tatsächlich drei annähernd gleichwertige Züge gibt und wie hoch
die Varianz bzw. die Standardabweichung ist.
[/quote]

Das ist eine gute Idee, an die wir auch schon gedacht hatten. Frau Schreiber
hat der Untersuchungen aber nicht realisiert, da sie als Mathematikerin eher
dann interessiert ist, ob so etwas wie die Cordel-Eigenschaft auch bei
mathematischen (Optimierungs-)Problemen vorkommt. Das ist tatsächlich
der Fall.

Bei der 3-best- oder k-best-Analyse sollte (wenn eine Verallgemeinerung von
Cordel gilt) die Bewertung des zweitbesten Zuges im Durchschnitt näher an
der vom drittbesten als an der vom besten Zug liegen.

Spannend könnte auch folgende Sache sein:
Cordel hat ja, als Eröffnungs-Analytiker, nicht alle möglichen Eröffnungen
analysiert, sondern Schwerpunkte auf gewissen Systemen gehabt.
Kann es vielleicht sein, dass bei diesen System das Phänomen (ein bester
oder mindestens drei beste) häufiger vorkommt als bei anderen Eröffnungen?

Vielleicht gibt es ja jemanden, der hier mitliest und Interesse hat, eine Analyse,
die einen Grossteil Fleiss erfordert, durchzuführen.

Ingo Althöfer.
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