Mit massgeblichen Ergänzungen an der Partiekommentierung, auch aufgrund
von Hinweisen einiger Schachfreunde hier im Forum zum gestrigen Beitrag .CSS-Forum 31. Dezember 2012
http://forum.computerschach.de/cgi-bin/mwf/topic_show.pl?tid=4308Liebe Schachfreunde
Hier eine weitere kommentierte Capablanca-Partie.
Ein grossartiger Kampf, den sich beide Spieler liefern. Am Ende hat Capablanca
das bessere Ende für sich. Von Langeweile kann keine Rede sein und sehr mutig
gespielt hat der als trocken verschrieene Kubaner auch. Schön wäre es, wenn
insbesondere meine Endspielanalyse näher untersucht würde, um zu sehen, ob
meine Ansicht, dass sich Bogoljubow doch noch hätte retten können, korrekt ist.
Die Partie als PGN zum Nachspielen, als kommentierte PGN zum Laden in jedes
Schachprogramm plus zusätzlich einigen Diagrammen kritischer Stellen der Partie.
Abschliessend wünsche ich allen Schachfreunden einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Gruss
Kurt
Capablanca-Bogoljubow
Stellung vor 21...Lh5?, stattdessen war richtig 21...Lxf3 mit Ausgleich
Capablanca-Bogoljubow
Stellung nach 27...De7 und bevor 28.g4!?
Capablanca-Bogoljubow
Stellung bevor 34.Txb2!? (statt 34.Kh1 oder 34.Kf1)
Capablanca-Bogoljubow
Stellung bevor 36...Dxe3?! und verpasster Gelegenheit 36...Dxc4!
Capablanca-Bogoljubow
Stellung bevor 41...Sb3 (war Rettung möglich mit 41...Sxe4!? oder 41...Ke7)
Event:
Ort:
Datum:
Weiss:
Schwarz:
Ergebnis
Board
[Event "London"]
[Site "?"]
[Date "1922.08.07"]
[Round "6"]
[White "Capablanca, Jose"]
[Black "Bogoljubow, Efim"]
[Result "1-0"]
[ECO "C91"]
[EventDate "1922.08.07"]
[PlyCount "103"]
[Annotator "Utzinger,K"]
1.e4 e5 2.Nf3 Nc6 3.Bb5 a6 4.Ba4 Nf6 5.O-O Be7 6.Re1 b5 7.Bb3 d6 8.c3 O-O
9.d4
{Auch heutzutage noch eine beliebte Variante.}
9...exd4
{Als beste Antwort gilt hier allerdings 9...Lg4, um auszunutzen, dass
Weiss h3 unterlassen hatte.}
10.cxd4 Bg4 11.Be3
{Laut Capablanca war 11.Sc3 der richtige Zug (Euwe/Prins). In meiner
Datenbank finde ich 1692 Partien mit 11.Le3 und einem Score von 55 %
und nur 57 Partien mit 11.Sc3 und einem Score von 57 %.}
11...Na5
{Die Meinung von Euwe/Prins "Stattdessen bevorzugt man nach heutigen
Ansichten 11...d5" ist durch die gaengige Praxis bereits wieder
ueberholt.}
12.Bc2 Nc4
{Beliebt ist auch 12...c5}
13.Bc1 c5 14.b3 Na5
{Etwas erfolgreicher ist Schwarz mit 14...Sb6}
15.Bb2
{Weitaus ueblicher ist 15.d5}
15...Nc6
{Zu einem ganz anderen Spiel fuehrt die gute Alternative 15...cxd4}
16.d5 Nb4 17.Nbd2 Nxc2 18.Qxc2 Re8 19.Qd3 h6
{Schwarz muss an einen anderen Plan als den in der Partie
ausgefuehrten gedacht haben, sonst koennte man sich diesen Zug nicht
erklaeren. Am staerksten war Sd7 gewesen, sowohl anstelle von 18...Te8
als auch statt 19...h6 (Capablanca). Diesem Kommentar darf man
zustimmen.}
20.Nf1 Nd7
{Schwarz spielt konsequent auf die Beherrschung des wichtigen Punktes
e5.}
21.h3 Bh5
{? Der Wendepunkt der Partie. Schwarz haette auf f3 schlagen und dann
Lf6 spielen muessen. Vielleicht erwartete Schwarz nicht, dass Weiss
die mutige Spielweise waehlen wuerde, die in der Partie folgt
(Capablanca). Der erste Satz beruht auf einer sauberen Einschaetzung
der Lage. Der nachfolgende Satz wird in den weiteren Kommentaren der
Partie ad absurdum gefuehrt.}
22.N3d2 Bf6 23.Bxf6 Qxf6 24.a4 c4 25.bxc4 Nc5 26.Qe3 bxa4 27.f4 Qe7
{In dieser komplizierten Position findet Capablanca einen sehr
interessanten Plan (Bronznik/Terekhin).}
28.g4
{!? Eine Alternative waere 28.e5 Lg6 unklar (Bronznik/Terekhin)}
28...Bg6 29.f5
{! Natuerlich schwaecht Weiss damit das Feld e5 und macht seinen
e4-Bauer rueckstaendig, wo er lange Zeit vom Kriegsgeschehen
abgeschnitten ist (Bronznik/Terekhin).}
29...Bh7 30.Ng3
{Weiss ueberdeckt den e4-Bauer und und bereitet damit das Manoever
Sd2-f3-d4 vor (Bronznik/Terekhin). Die Computer bieten als sehr gute
Alternative die Fortsetzung 30.e5!? an.}
30...Qe5 31.Kg2
{Die heutigen Computerprogramme sind noch nicht in der Lage, die
Nachteile des ausser Spiels stehenden Lh7 richtig zu wuerdigen und
bewerten hier die Stellung als vorteilhaft fuer Schwarz.}
31...Rab8 32.Rab1 f6
{Mit der Idee, den Laeufer durch das Manoever Lh7-g8-f7 zu befreien,
andererseits wird jetzt aber das Feld e6 schwach (Bronznik/Terekhin).
Diese Idee haette Schwarz auch spaeter noch zur Verfuegung, weshalb m.
E. sofort 32...Tb2! eine sehr gute Option war.}
33.Nf3 Rb2+ 34.Rxb2
{Eine interessante Variante entstuende nach 34.Kh1 Dxg3, 35.Txb2
Lxf5!, 36.gxf5 Txe4, 37.Df2 Dxh3, 38.Sh2 Sd3, 39.Txe4 Sxf2, 40.Txf2
Db3 unklar (Bronznik/Terekhin). Nicht minder interessant waere das
Abspiel 34.Kf1 Dxg3, 35.Txb2 Dxh3, 36.Kg1 h5! 37.Sd4 Dxg4, 38.Tg2
Dxe4, 39.Se6 unklar.}
34...Qxb2+ 35.Re2 Qb3
{Der Lh7 benoetigt noch immer viel Zeit, um ins Spiel zurueckzukehren,
aber die Aktivitaet der uebrigen schwarzen Figuren, der gefaehrliche
Freibauer a4 und die Schwaeche der Bauern c4 und e4 bieten dem
Nachziehenden betraechtliche Kompensation fuer die unbeholfene Lage
seines Laeufers. Nichtsdestotrotz ist Capablancas Idee aeusserst
lehrreich (Bronznik/Terekhin). Capablanca erlaeutert ausfuehrlich,
dass der schwarze Freibauer, die schoene Stellung, die von den
schwarzen Figuren Turm, Dame und Bauer gebildet wird, die
Hilflosigkeit der weissen Bauernstellung und die defensive Aufstellung
aller weissen Figuren voll und ganz dadurch kompensiert wird, dass
Weiss praktisch mit einer Figur mehr spielt; der Wert des Lh7 ist
ausschliesslich nominal. Er schlussfolgert, dass Weiss um jeden Preis
versuchen muss, die Initiative zu erobern (Euwe/Prins).}
36.Nd4
{Weiss setzt seinen Plan der Ueberfuehrung des Springers nach e6 fort
und opfert dafuer den c4-Bauern. Capablanca meinte, dass Schwarz den
Bauern wegen 36...Dxc4, 37.Tc2 Dxd5, 38.Se6 nicht nehmen durfte, aber
wie Kasparov entdeckte, irrte sich der grosse Kubaner - nach 38...Db3
koennte Weiss reinen Gewissens aufgeben. Natuerlich waere 37.Tc2?? ein
grober Fehler. Stattdessen empfiehlt Kasparov 37.Se6 Tb8 mit unklarer
Stellung. Eine weitere interessante Moeglicjhkeit ist 37.h4 und die
Drohung g4-g5 erweist sich als ziemlich unangenehm. Wie dem auch sei,
wir muessen konstatieren, dass 36...Dxc4 zu einem unklaren Kampf
gefuehrt haette. In der Partie nutzte Schwarz diese Chance nicht
(Bronznik/Terekhin). Ich kann mir nicht vorstellen, dass Capablanca
nach 36...Dxc4 den Bock 37.Tc2 geschossen haette.}
36...Qxe3
{? Schade fuer die bislang von Bogoljubow gut gespielte Partie;
eigentlich war es nicht so schwer zu erkennen, dass 36...Dxc4 die
meisten Chancen bietet, doch ist das einfacher in der heimischen
Analysestube, als in der Hitze des Gefechts am Brett festzustellen.
Und ueberdies ist der Tadel - wie man spaeter sehen wird - vielleicht
gar nicht angebracht.}
37.Rxe3 Rb8 38.Rc3 Kf7
{Hier schlage ich die Verbesserung 38...Kf8 vor, damit der bald auf g8
auftauchende Laeufer nicht in seiner Aktivitaet eingeschraenkt wird.}
39.Kf3 Rb2 40.Nge2
{Der schwarze Laeufer ist nach wie vor untaetig, der Sd4 strebt nach
e6, und im Unterschied zur Situation vor dem Damentausch besitzt der
Nachziehende kein wirsames Gegenspiel (Bronznik/Terekhin).}
40...Bg8
{Der geistreiche Versuch 40...g5, um den gegnerischen Springern das
Feld f4 zu nehmen, fuehrt zu keinem positiven Ergebnis, denn nach
41.Se6 befindet sich Weiss auf dem Gewinnweg.}
41.Ne6 Nb3
{Auf 41...Sxe4 gibt Kasparov 42.Kxe4 Txe2, 43.Kd4 Td2, 44.Td3 Txd3,
45.Kxd3 h5, 46.Kc3 hxg4,47.hxg4 Lh7, 48.Kb4 g6, 49.Sd4 +- an; diese
Variante bringt die bemitleidenswerte Lage des schwarzen Laeufers ganz
ganz deutlich zum Vorschein (Bronznik/Terekhin). An dieser Bewertung
zweifle ich, und wenn es stimmt, dass ich eine remiswuerdige
Verbesserung der Variante von Kasparov gefunden habe, waere die die
vorhergehende Kritik an Bogoljubow fehl am Platz gewesen. Mein
Vorschlag geht dahin, der Variante von Kasparov bis 45.Kxd3 zu folgen,
dann aber wie folgt fortzusetzen: 45...Lh7, 46.Kc3 a3 ein wichtiger
Zwischenzug 47.Kb3 g6, 48.Sd4 gxf5, 49.gxf5 das Schlagen mit dem
Springer wuerde Weiss gar verlieren 49...Ke7, 50.Kxa3 Kd7, 51.Kb4 Kc7
wonach ich keinen Gewinn mehr fuer Weiss sehe. Peter Martan weist im
CSS-Forum am 31.12.2011 ferner darauf hin, dass die Variante von
Kasparov mit 46.gxh5! und leichtem Gewinn fuer Weiss verbessert werden
kann. Und ebenso im CSS-Forum bringt Ludwig Buergin vor, dass auch die
von Computern bevorzugte Variante 41...Ke7 groesste Beachtung
verdiene. Und in der Tat: trotz eifrigem Analysieren habe ich in
diesem Abspiel bislang fuer Weiss nichts Erfolgversprechendes finden
koennen.}
42.c5
{! Das ist nun sehr stark}
42...dxc5 43.Nxc5 Nd2+
{Hoffnungslos fuer Schwarz waere der Springertausch auf c5.}
44.Kf2
{?! An diesem Zug geht Capablanca stillschweigend vorueber, was vom
Standpunkt des forschenden Lesers nicht ohne weiteres hingenommen
werden kann. Noch ueberzeugender waere 44.Ke3 gewesen (Euwe/Prins),
die das noch mit Varianten untermauern. Recht haben die Autoren ebenso
wie die heutigen Computerprogramme, die ebenfalls 44.Ke3 spielen
wuerden.}
44...Ke7
{? Staerker war laut Capablanca 44...Sb1, obgleich, wie in spaeteren
Analysen festgestellt wurde, die weisse Stellung auch in diesem Fall
nach 45.Tc4! a3, 46.Se6 gewonnen war. Die entstehenden Varianten sind
sehr interessant und schoen. Wer sich naeher dafuer interessiert, sei
auf Kasparovs tiefgruendiger Analyse in "Meine grossen Vorkaempfer",
Band 2, verwiesen. Nach dem Textzug gewinnt Weiss muehelos
(Bronznik/Terekhin). Das besagte Buch muss ich mir noch anschaffen,
weil ich bislang trotz eifrigem Suchen in der angegebenen Variante
keinen Gewinn finden konnte (Utzinger,K). Bei der Beurteilung der
Stellung nach 44...Sb1 kommt noch erschwerend hinzu, dass andernorts
geschrieben wurde, dieser Versuch erweise sich als ebenso ungenuegend
wie alle anderen Fortsetzungen, und zwar wegen 45.Tc1 und a) 45...a3,
46.d6 a2, 47.Sxe6, bzw. b) 45...Sd2, 46.Ta1 mit Eroberung eines
Bauern, denn sowohl nach 46...Tb5 als nach 46...Tc2 oder 46...Tb4
folge 47.Ke3, zum Beispiel 46...Tb4, 47.Ke3 Sc4, 48.Kf4 a3, 49.Sxa6
und Weiss gewinnt u.a., indem er seine Springer nach a2 und c3 fuehrt
und sich mit seinem Turm hinueberarbeitet (Euwe/Prins). Die Stellung
nach 44.Kf2 birgt also noch eine Menge Stoff fuer weitere Analysen.
Schon heute kann ich jedoch sagen, dass mich die Varianten von
Euwe/Prins nicht zu ueberzeugen vermoegen (Utzinger).}
45.Ke1 Nb1 46.Rd3 a3
{? Besser, aber schliesslich auch ungenügend war 46...Kd6}
47.d6+ Kd8 48.Nd4 Rb6 49.Nde6+ Bxe6 50.fxe6 Rb8 51.e7+ Ke8 52.Nxa6 1-0