Zitat:
Scheinbare Beweise? Das ist in etwa so sachlich wie die Aussage "ein bißchen schwanger". Und eine persönliche Empfindung ist das genaue Gegenteil einer sachlichen Berichterstattung.
Versteh mich nicht falsch. Ich habe nix dagegen, daß Leute hier oder anderswo ihre persönliche Meinung zu diesem und jedem anderen Thema äußern - auch ich tue das. Aber sachliche Beiträge sind das nun mal keinesfalls!
Hallo,
zu diesem Beitrag möchte ich mich kurz äußern. Ich weiß nicht, wie du den Begriff "Sachlichkeit" definierst. Für mich hat Sachlichkeit viel mit einer möglichst objektiven Darstellungsweise zu tun. Mein Beitrag war beides: Persönliche Meinungsäußerung auf der einen Seite, jedoch auf der anderen Seite auch eine recht nüchterne Faktenaufsummierung. Wenn du das als unsachlich auffasst, ist das deine Meinung.
Nun zu der etwas paradoxen Formulierung "es jedoch bewiesen scheint". Das ist in der Tat etwas unglücklich ausgedrückt. Ich hätte vielleicht schreiben sollen, "die Indizienlast inzwischen so erdrückend geworden ist, dass es einem Beweis sehr nahe kommt". Das Problem, dass wir im Computerschach doch nun einmal haben, ist, dass man Plagiate oftmals nicht so einfach nachweisen kann wie im Falle der Doktorarbeit von Herrn zu Guttenberg. Schließlich waren sowohl seine Arbeit als auch seine Quellen quasi als "Sourcecode" einsehbar, während wir im Falle von unter Verdacht stehenden Engines nur eine kompilierte exe haben, die für Menschen erst einmal schwer lesbar sind. Im Maschinencode sind zwar auch hin und wieder Ähnlichkeiten auffindbar, aber wenn der fragliche Programmentwickler sich viel Mühe gegeben hat, die Verwandschaft zu einer anderen Engine zu verstecken (wie im Fall Rybka 1.0 beta und Fruit), dann ist es u.U. sehr schwierig, hier wirklich so etwas wie einen Beweis zu liefern. Ein für alle verständlicher und schlüssiger Beweis wäre erst da, wenn auch die Quellen des unter Verdacht stehenden Programms verfügbar wären und das wird wohl im Fall von Rybka niemals passieren. Was wir haben, ist der Code von Strelka, Vasiks Aussage dazu, dass dies ein Clone von Rybka 1.0 beta sei und nun dazu wiederum die Aussage von Fabien Letouzey, dass Strelka ein umgeschriebener Fruit sei. Diese Indizienlast hat für mich Beweischarakter. Im Falle von Ippolit ist es genau umgekehrt: Es liegen die Quellen des verdächtigen Programms vor, aber nicht die des Originals! Was wir haben, ist die Aussage von Vasik, dass die Ippolit-Autoren sich bei Rybka 3 bedient haben. Dies ist ebenso schwer nachprüfbar, da die Quellen von Rybka 3 nicht vorliegen. Einen Beweis gibt es also nicht, es sei denn, Vasik würde zumindest Teile der Rybka 3 Quellen, die er für gestohlen hält, einer öffentlichen Überprüfung zur Verfügung stellen. Das wird er wohl nicht tun, trotzdem ist die Indizienlast groß, da auch andere Entwickler auf Ähnlichkeiten der beiden Programme aufmerksam gemacht haben. Aus diesem Grund habe ich mich wohl zu der Formulierung "bewiesen scheint" hinreißen lassen, die ich im Nachhinein selbst unglücklich finde und eher durch "große Indizienlast" ersetzen würde.
Einen weiteren Punkt möchte ich hinzufügen, der auch in der Diskussion dieses Threads vorkam: Es wurde aufgeführt, dass Rybka 4 wahrscheinlich nicht mehr viel mit Rybka 1.0 beta und damit auch mit Fruit gemeinsam habe. Dies bezweifle ich nicht. Genauso wird es in ein paar Jahren mit allen Programmen sein, die aus Ippolit hervorgegangen sind. Houdini wird das gar schon heute nachgesagt, da er ja stark gegenüber Ippolit verbessert wurde. Trotzdem macht das alles nicht das aus meiner Sicht zentrale Problem vergessen: Zum Projektstart wurden große Teile eines anderen Programms übernommen (sei es durch ein "Umschreiben" der Quellen oder sei es durch Decompilation/Reengineering), aber es wurde unterlassen, die Quelle mit anzugeben und stattdessen das ganze Projekt als Eigenleistung ausgegeben. Das ist schlicht unehrlich, macht einen solchen Autor in meinen Augen unglaubwürdig und unehrenhaft. Vor allem, wenn dieser Programmautor dann selbst unter erdrückender Indizienlast über Jahre hinweg nicht gesteht, dass er einen Fehler gemacht hat. Da nützt es auch nichts, wenn nach einigen Jahren Entwicklung das Programm kaum noch etwas mit dem Ursprung zu tun hat. Schließlich wurde nicht wie bei einem ehrlichen Entwickler bei "Null" angefangen, sondern man begann auf wesentlich höherem Niveau (nämlich auf dem einer Top-Engine, die ein anderer entwickelt hatte!). Dies ist eine gegenüber anderen Autoren unfaire Ausgangsbasis (und nebenbei bemerkt auch unrechtmäßige), auf der die Entwicklung gestartet hat. Es gab in der Vergangenheit andere Fälle, die ähnlich anfingen, jedoch versöhnlicher endeten - mir ist z.B. noch Toga in bester Erinnerung. Zunächst hatte Thomas Gaksch auch seine Quelle (based on Fruit) verschwiegen, doch als man ihn überführt hatte, räumte er sofort seine Fehler ein und entschuldigte sich. Die Community verzieh ihm und Toga erfreute sich noch Jahre größter Beliebtheit. Ich sehe ein, dass dies im Fall von Fruit<-->Rybka und Rybka<-->Ippolit wohl nicht so einfach ist, da es sich bei Rybka um ein kommerzielles Produkt handelt. Ein Geständnis seitens Vasik und / oder seitens der (immer noch anonymen) Ippolit-Autoren hätte möglicherweise schlimmere Konsequenzen - da wird sich der eine oder andere schon genau überlegt haben, lieber zu schweigen als durch eine klare Aussage selbst einen Anlass dafür zu schaffen, vor Gericht für etwas belangt zu werden. Das alles ändert aber nichts an dem Grundproblem, dass das Computerschach an einem Glaubwürdigkeitsproblem leidet. Denn was diese beiden Affären nach sich gezogen haben, ist doch, dass nun plötzlich auch ganz andere Autoren (zu Recht oder zu Unrecht, das kann ich nicht beurteilen) des Abschreibens (bei Ippolit) verdächtigt werden, da ihr Programm in den letzten 18 Monaten plötzlich so stark geworden ist. Diese Entwicklung stimmt mich ziemlich traurig, doch eine Lösung des Problems ist leider nicht in Sicht - wie sollte die auch aussehen (man kann ja schlecht alle Autoren unter Generalverdacht stellen und sie zur Herausgabe Ihrer Quellen auffordern)? Jetzt kann man natürlich auch den Standpunkt vertreten: "Was hinten herauskommt, zählt! Die Programme sind alle soviel stärker geworden, davon profitiert ja im Endeffekt der Nutzer am meisten. Wie diese Steigerung zu Stande gekommen ist, kann mir als Otto-Normaluser doch egal sein. Wahrscheinlich ist dies einfach der Lauf der Zeit, schließlich gab es schon einmal eine Phase, als Programme plötzlich alle einen großen Schritt nach vorn gemacht haben - das war ein paar Monate, nachdem die Fruit 2.1 Quellen veröffentlicht wurden." Doch ein bitterer Beigeschmack bleibt trotzdem...
Viele Grüße
Timo