Hallo Peter,
Du sprichst ein interessantes Problem an:
Welche Beziehung zwischen dem Fortschritt der Zeit in einer
Schachpartie und dem Fortschritt dieser Schachpartie selbst
gibt es?
Ganz allgemein könnte man hier vom "Altern" einer Schachpartie
reden, und laut Spielregeln strebt sie wie alles Vergängliche
auch auf ein Ziel zu, das ja im allgemeinen das Schachmatt
sein sollte, aber sehr oft, wie wir wohl wissen, nur ein Remis
ist.
Dabei kann man einem zwischenzeitlichen Spielstand oft nicht
genau ansehen, wie "alt" die zugehörige Partie ist, d.h.
wieviel Züge zu diesem Zustand geführt haben, besonders, wenn
es Zugwiederholungen gab. Diese können ja, solange es hinrei-
chend wenige sind, die zu derselben Stellung führen, auch
schon mal in Großmeisterpartien auftreten und werden dann oft
genug dazu benutzt, um "Zeit zu schinden", denn Menschen
brauchen manchmal etwas länger, um sich zu einem entschei-
denden Zug aufzuraffen.
Objektiv gesehen halten Zugwiederholungen eine Partie länger
jung, und wie es aussieht, kann man auch hier von Zeitdila-
tation reden, denn man darf ja nicht vergessen, daß das
Zeitmaß hier das Tempo ist und nicht die reale Zeit, die man
auf der Uhr ablesen kann. Aber vielleicht kommt es hier, wie
auch oft in der Relativitätstheorie, auf den Standpunkt des
Betrachters an, denn ein neutraler Beobachter (im Schach oft
Kibitz genannt), der zu einem beliebigen Zeitpunkt die Partie
betrachtet, mag das anders sehen als jeder der beiden Spieler.
Wo diese Problematik gerade hinsichtlich der Schachengines am
deutlichsten wird, ist das Phänomen der Festung, denn hier
können beide Seiten noch viele Züge machen, aber die Partie
"altert" eigentlich nicht weiter, und was nicht weiter altert,
ist endweder tot oder unsterblich.
Engines, die einen solchen Zustand erkennen wollen, müssen
also quasi einen Sinn für den "Fortschritt" einer Partie
haben. Wenn das einfach zu realisieren wäre, gäbe es schon
Engines, die so etwas können. Ob Pruning-Techniken, egal ob
Nullmove oder Futility-Pruning, dabei helfen, ist in diesem
Zusammenhang mehr als fraglich.
Grüße, Thomas.