Stefan Pohl schrieb:
Von entwaffnender Einfachheit, Ehrlichkeit und Bekenntnisbereitschaft, erinnert fast schon an die Unkompliziertheit und Unschuld eines Kaspar Hauser. Diese natürliche Bescheidenheit ist für einen Schachweltmeister in der Tat sehr ungewöhnlich. Mit der Tatsache, dass der Weltmeister nicht zugleich auch der Beste ist, kommt er wunderbar zurecht. Andere hätten eine solche Einsicht wohl kaum artikuliert und sie bestimmt mit rhetorischem Geschick umgangen. Als bei der letzten WM Nepomnjaschtschi dieser letztlich titelentscheidende Blackout unterlief, offenbarte der Chinese m.E. genau diesen seinen edlen Charakter. Da war kein Triumph in den Augen, ich gewann fast den Eindruck, es war ihm selbst beinahe genau so peinlich und er musste sich zusammenreißen, um dem Unglücksraben gegenüber nicht offen seiner Anteilnahme Audruck zu verleihen.
Das Interview wurde dem Weltmeister vermutlich in Chinesisch und im voraus schriftlich vorgelegt. Von den WM-Interviews weiß man ja, dass sich seine rhetorischen und vor allem englischen Redekünste in Grenzen halten. Bei dieser bereitwiiligen Offenheit des Liren Ding ist es fast schade, dass der Interviewer nicht mehr ins Detail gegangen ist, politisch zum Beispiel. Es ist aber anzunehmen, dass in Bezug auf Privatheit und Themenwahl schon Grenzen vereinbart wurden, gerade bei einer so offenen Persönlichkeit wie dem Weltmeister.
"Immer nur lächeln und immer vergnügt...., doch wie es drinnen aussieht geht niemand was an". Dieses operettenhafte Image des Chinesen, das ja vor allem auch in der Filmwelt des Kung Fu (IP Man) nach wie vor zelebriert wird, verfehlt vielleicht die neueren Generationen dieses uralten Reiches bis hin zur Volksrepublik. Über den Exporteur und Handelspartner China mit dem Warenprädikat "made in" möchte ich mich in diesem Zusammenhang nicht näher auslassen.
.