Hallo miteinander!
Da ich ein Fan von schönen Partien bin möchte ich gerne eine hier zeigen, die mit einer vollkommen abstrus hohen Bedenkzeit von 40/120 + 20/60 und einer großzügigen Zeitvorgabe für den Rest der Partie gespielt wurde. Ich habe die Eröffnungsbibliothek ausgeschaltet, um die Engines unbeeinflusst die Züge machen zu lassen, die sie für die besten halten. Die Kontrahenten sind Stockfish 14.1 und Fritz 18. Nachdem Fritz das Match mit Weiß bei der selben Zeitvorgabe locker Remis halten konnte, war ich gespannt, wie er sich mit Schwarz hält. Überraschenderweise wählte Fritz die Französische Eröffnung.
Nach 12 Zügen und
13. Ld3 war eine Stellung entstanden, die ich schon aus vielen zuvor gespielten Stockfish-Partien kenne. Weiß hat seine Figuren mehrheitlich in Stellung gebracht, um den König zu attackieren - und scheinbar haben viele Programme ein Problem damit, die mittelfristigen Bedrohungen zu erkennen, wenn sie nichts unternehmen, um den König zu schützen.
Hier würde Stockfish
13. ... f5 ziehen, was wenigstens den Versuch unternimmt, dem schwarzen König etwas Erleichterung zu verschaffen, aber Fritz zieht hier
13. ... Lb7, so als ob auf der anderen Seite überhaupt nichts drohen würde.
14. Dh3 h6 (warum nicht g6, um dem Läufer die Felder zu nehmen?)
15. g4 Irgendwie faszinierend, dass Fritz noch immer nicht den Ernst der Situation erkennt und nach fünfeinhalb Minuten mit einer überoptimistischen Wertung von nur +0,41 Vorteil für Weiß
15. ... Sb8 zieht.
Es war jetzt (zumindest für mich) wunderschön zu beobachten, wie Stockfish zunächst kurz Se2 in Erwägung gezogen hat, dann zum tatsächlich gespielten Zug
17. g5 gewechselt ist und die Bewertung für diesen Zug mit jeder Minute gestiegen ist, bis er schließlich nach über 7 Minuten (in dieser Zeit spielen andere ganze Turniere aus) bei 4.25 gelegen ist. Es war selbst mir als bestenfalls durchschnittlichem Spieler klar, dass es irgendetwas geben muss, womit man die schwarze Stellung knacken kann, aber wie das konkret gegen einen starken Gegner aussehen soll steht auf einem anderen Blatt. Selbst Fritz konnte innerhalb seines Rechenhorizonts noch nicht erkennen, was da droht und er spielte konsequent
17. ... Sc6 womit der weiße Turm angegriffen wird, der offensichtlich kein Feld hat, auf das er ziehen kann und der noch dazu ungedeckt ist.
Hier zeigt sich, dass die extrem starken Schachprogramme dazu führen, dass man schöne Züge nicht mehr sieht, weil sie die Engines sowieso nach kurzer Zeit finden. Wie es dazu kommt, dass solche Stellungen überhaupt erst entstehen, wird völlig außen vorgelassen. Den angegriffenen Turm einfach stehen zu lassen und mit
18. Se4 zusätzlich dazu noch den Springer anzubieten wäre bei einer Partie zwischen Menschen eine Sensation, aber selbst bei einer Computerpartie empfinde ich so etwas als unglaublich ästhetisch und habe Freude daran. Noch dazu, wenn jetzt Sf6+ droht und diese Figur scheinbar alle schwarzen Bauern ignoriert. Ich habe ein paar Varianten mit Computerhilfe durchgespielt und war fasziniert von den diversen Mattdrohungen, die teilweise erst in 8 oder 9 Zügen exekutiert werden.
Durch
18. ... Kh8 wird das Schach vermieden, aber es kommt natürlich trotzdem
19. Sf6 und das eigentlich interessante dabei ist, dass sich Fritz noch immer keine 2 Bauern im Nachteil sieht, obwohl er jetzt zu dem bizarr anmutenden Zug
19. ... Tg8 gezwungen ist, der den Turm dem Springer zum Fraß vorwirft. Alles das, weil die Mattdrohungen immer im Raum hängen, der Turm auf d4 steht weiterhin ungedeckt herum und wird angegriffen.
Der Rest ist reine Technik von Stockfish, der überhaupt keine Anstalten macht, den Turm in Sicherheit zu bringen und der sogar materiellen Gleichstand zulässt, um den Gewinn bringenden gedeckten Freibauern auf der h-Linie zu schaffen. Auch das wäre bei Menschen eine ziemlich Nerven aufreibende Angelegenheit.
Schöne Grüße
Andreas
Hier noch die gesamte Partie:
Event:
Ort:
Datum:
Weiss:
Schwarz:
Ergebnis
Board