Hallo Peter,
ja die Anzahl der Fernschachspieler ist weltweit rückläufig.
Hierfür gibt es verschiedene Gründe und ein gewichtiger ist der Computer, aber er ist nicht der Einzige.
Es gibt reine Computerspieler, Cyborgs (Mischwesen) und computerlose Spieler. Jeder kann Fernschach
spielen, aber halt auf unterschiedlichem Niveau.
Einige starke Schachspieler wie z.B. Raj Tischbierek, Attila Figura und Thomas Trella spielen auch Fernschach. Die spielen sicher
nicht nur System Dose an, schlafen gehen und zwei Tage später einen Mörderzug ablesen und abschicken, sondern
versuchen eigene Züge und Ideen zu bringen. Diese Gruppe hat es allerdings immer schwerer sich erfolgreich zu behaupten.
Allerdings versuchen auch etliche normale und auch schwächere Schachspieler. So gibt es aktuell Elozahlen von
2700-1500. Wenn ein schwacher Spieler ohne Computerhilfe spielt ist halt manchmal nicht mehr drin.
Dagegen stehen die Cyborgs und die reinen Computerzugableser. Als Letzterer kann man es im Fernschach weit bringen,
aber man muß dann auch immer Up-to-Date bleiben, denn mit z.B. Fritz 8 auf einem Pentium reisst man heute nicht mehr sehr
viel. Trotzdem mit den stärker werdenden Programmen und Computern können die reinen Zugableser immer weiter nach vorn
vorstoßen.
Aktuell am weitesten bringt es m.E. immer noch der Cyborg, der versucht dem Computerzug zu veredeln, oder den Computer zu
überstimmen. Dies klappt nur mit echtem Schachwissen (u.a. Datenbanken, Erfahrungen, Positionsgefühl, eigenen Berechnungen etc.).
Diese "Eigenleistung" kann verschiedene Sachen umfassen.
a) Die Gewissheit/Vermutung dass der Computerzug schlecht ist (aus negativen Referenzpartien, oder aus eigener schlechter Erfahrung,
weil man den Zug schon mehrfach mit schlechtem Ergebnis gespielt hat, oder aus dem besseren Positionsvertändnis)
b) Dem Verständnis der Computeranalyse zu folgen und als richtig einzuschätzen und deshalb in der eigenen Analyse schon ein paar Züge/
Halbzüge vorauszuarbeiten und somit halt einfach einen späteren Zug zu analysieren und entsprechend einen weiteren Analysehorizont als
der Gegner zu haben und somit einen Vorteil erringen zu können.
c) Dem Aufsparen von Zeit für die wirklich wichtigen Entscheidungen. So spielen die richtig guten Spieler manche Antworten ziemlich schnell
und nehmen sich die errungene Extrazeit für die entscheidenden Züge. Aber diese Situation muß man dann auch selbst erkennen können.
d) Der Analyse anderer gegnerischer Partien um Schwächen beim Gegner aufzufinden und geziehlt anzuwenden.
e) Bekanntermaßen haben alle Computerprogramme Stärken und Schwächen. Wenn also jemand immer nur den Houdinizug ausführen würde,
würde er auf Topebene warscheinlich ziemlich viel verlieren, weil seine Gegner stellenweise schon vorab wissen würden, was er spielt und ihn
somit zu schwachen Zügen hinführen könnten, weil diese halt austesten könnten, wo Houdini nicht den optimalen Zug macht.
Wenn man dies schafft verbessert man die Partie und kann auch gegen einen reinen Ableser gewinnen. (So spielen ja auch Nahschach-GM's nicht
immer stur 3 min. pro Zug, sondern verwenden die Zeit nach Bedarf).
Das bedeuted nicht, daß diese drei Gruppen nur untereinander spielen. So kann ein starker computerloser Spieler immer noch mit vielen Computerablesern
mithalten, wenn ihm auch klar sein muß, daß seine Elozahl jedes Jahr ein Srück fallen wird. Aber es soll ja auch noch Leute geben, die um des Spaß am
Schach spielen.
Es stimmt, daß viele starke Spieler sehr ängstlich mit ihrer Elo umgehen und schwächere Spieler deshalb meiden. Durch die hohe Zahl von starken
Seiteneinsteigern (mit sehr schwachen Startratings) ist das Elogefüge im Fernschach rückläufig. Es gibt gerade noch zwei Spieler über Elo 2700,
Tendenz weiter sinkend in der Spitze und steigend am Eloende.
Mit Tennis, etc. ist diese Angst nicht zu vergleichen. Im Tennis reicht eine etwas bessere Leistung in der Regel zum Sieg, da es kein Unentschieden gibt,
im Schach muß ich deutlich besser sein um zu gewinnen.
Fernschach "stirbt" auch aus verschiedenen Gründen.
a) Vielen ist heutzutage das Fernschach zu behäbig mit 3 bis 5 Tagen pro Zug. Da dauert eine Partie schon
mal ein paar Jahre und das ist vielen viel zu langsam. (Aber auch Schach.de ist Fernschach und da tummeln sich auch viele Spieler. Nur das Tempo
ist deutlich schneller. Wird aber nicht als Fernschach gezählt).
b) Darüberhinaus wurde lange die Nachwuchsarbeit vernachlässigt, sodaß eine gewisse Überalterung vorherrscht, die jetzt langsam wegstirbt.
c) Im Fernschach brauch ich mich nicht zwingend zu organisieren. Ich kann auch auf einem der zahlreichen Schachserver spielen. Okay, kann zwar keinen
Meistertitel erhalten, aber wofür brauche ich den Titel GM, SIM oder IM wirklich? Es ist schön einen Titel zu haben, aber ansonsten ist dies wie der Tisch-
tennispokal, der hart erspielt wurde und dann 40 Jahre in der Ecke vor sich hinstaubt. Viele spielen auch nur aus Entspannung und da brauche ich keinen Titel.
d) Spitzenfernschach ist zeit- und wenn man wirklich oben mitspielen will durch ständig zu erneuernden Computer und Schachprogramme etc. kostenträchtig.
Gewinnen kann man wie in vielen anderen Sportarten außer einem Titel nur die goldene Ananas. Und jeden Tag einige Stunden im stillen Kämmerlein hocken und
analysieren macht evtl auch einsam. Da gibt es Schöneres.
Ich glaube also schon an die Zukunft des Fernschachs wenn auch als ein schönes Hobby mit Gleichgesinnten auf einem normalen/mäßigen Niveau zwecks Freizeitgestaltung.
Gruß
Rudolf