Michael Scheidl schrieb:
So gehen zwar Computerengines erfolgreich vor, aber für die menschliche Denkweise ist es schon vorteilhaft, ein (evtl. temporäres) Ziel zu definieren auf das man sozusagen hinspielt. Daß die einzelnen Züge immer stellungsbezogen "konkret" durchdacht werden sollen, versteht sich von selbst.
Du sagst es, Michael, für die menschliche Denkweise, die funktioniert biologisch aber auch schon wieder ganz anders, als es sich der Mensch selbst vorstellt, insbesondere in Hinblick auf bestimmte Aufgaben, die er gleichzeitig zu bewältigen hat.
Würde man nämlich jetzt beispielsweise während des Spiels auch noch dauernd nachgrübeln, was mache ich eigentlich gerade im Kopf, plane oder rechne ich, erkenne ich Muster (die mit denen von NNs aber schon sowas von gar nichts zu tun haben, selbst mit meinen minimalen Kenntnissen von NN- Mustern, dieser Ausdruck ist ebenso an den Haaren herbeigezogen wie die meistens noch naivere Vorstellung von dem, was im Hirn abläuft, die menschliche Denkweise braucht solche Vergleiche, Eselsbrücken, sonst sind die für nix gut und führen immer wieder total in die Irre) oder rufe ich Kurzzeit- und oder Langzeit- Speicherwissen ab, und wie mache ich das eigentlich am besten, und wer oder was trifft dann letztendlich doch mehr hormonell als sonstwie gesteuert, die eigentlich Entscheidung, dann käme man zum Spielen überhaupt nicht mehr.
Und natürlich kann es ohne das "Lösen", Bewerten, Einordnen der einzelnen Stellungen in keiner Weise irgendwie anders als zufällig funktionieren. Ein Plan, entlang dessen du nur eine einzelne Stellung falsch eingeschätzt hast, irgendwie nicht "gelöst" hast, ist schlechter als gar keiner, wenn du dafür die nächstfolgenden Halbzüge in den Stellungen, die da mit irgendeiner Wahrscheinlichkeit aufs Brett kommen können, richtig bewertest.
Ich glaube (aber ich verstehe ihn ohnehin immer schlechter), Thorsten meint so etwas wie Eval, um bei Begriffen zu bleiben, die für Menschen und Maschinen Ähnliches bedeuten, was er wieder einmal (auch einer der alten Ei- oder Henne- Streitereien im Computerschach) in einer (an sich sinnlosen) Rangordnung an Wichtigkeit mehr vor die Suche setzen würde, die Suche noch mehr steuernd, bzw. er erhofft sich mehr Shannon-B -Strategie, noch mehr Selektion durch noch mehr Kriterien, die Eval-artig die Suche steuern.
Noch mehr Tiefe mit weniger Stellungen, die in der Zeit beurteilt werden, (natürlich kostet das Zeit und Rechenleistung, die Mehrselektion durchzuführen für jede einzeln Stellung, die im Baum bleiben soll oder nicht) mit noch weniger Abwerfen von Stellungen und Zügen, die sonst im Superplan eben fehlen und zu taktischen Patzern führen.
Aber dieses Problem ist doch, allein schon rein quantitativ betrachtet, wirklich so alt wie die Schachprogrammierung selbst, mit Rückschritt allein wird's nicht zu lösen sein, und auf AI- Programme ist das alles erst recht nicht direkt anzuwenden.
Also dass sich Thorsten gerade von denen (den NN- Engines) die Wiederbelebung alter Computerschachträume in Hinblick auf "Menschlichkeit" im positiven Sinn erhofft hatte, dafür können außer ihm selbst höchstens diejenigen etwas, die diesen für mich völlig irrealen Hype in die Welt gesetzt und weiter unterhalten haben.
Für mich sind das die Leute, die entweder nichts von Schachprogrammen oder nichts vom Schach verstehen oder von beidem zu wenig im Zusammenhang, besonders in den neurophysiologischen und den digitalen.
Und nur, um da nicht allzu arrogant zu klingen, "etwas vom Schach verstehen" korrelliert nur bedingt mit "gut Schach spielen können", ich halte es durchaus für möglich, dass ein Superspieler, je besser er wird, sogar umso weniger von dem, was er spielt, noch wirklich versteht in der Hinsicht, selbst zu wissen, wie er's macht, man spricht von der unbewussten Kompetenz des Künstlers, Wissenschaft ist etwas anderes. Das umgekehrte Beispiel, ein schlechter Schachspieler zu sein, aber dafür ein bisschen was von dem, was man spielt, verstehen zu können, dafür bin ich selbst ein gutes Beispiel, das funktioniert, ist ja auch irgendwie einfacher.
Was bitte, ist am NN- Schach menschlich? Und ich will nicht wieder was von Mustererkennung hören, sonst komme ich gleich wieder mit dem Schwammerlsucher als dem eigentlichen leuchtenden Vorbild erfolgreicher menschlicher Schachleistung, der eine findet Schwammerln im Wald, der andere gute Züge am Brett, beides ganz einfach, wenn man's kann. Man braucht dazu jeweils nur die spezielle (angeblich sogar wirklich ähnliche) Begabung und Übung.
Das ist alles pure Außenprojektion, man wüsste gern, wie gute menschliche Schachspieler das machen, gut Schach zu spielen, und bastelt sich irgendwelche Vergleiche mit übermenschlich gut schachspielenden Maschinen zusammen, in der Hoffnung, man habe das eine und das andere jetzt endlich besser verstanden und die übermenschliche Schachleistung bekäme endlich wieder etwas mehr Menschlichkeit.
Schmeck's, kann ich nur sagen, Nachtigall, ick hör' dir trappsen.
Z.B. menschliche Meister, die jetzt über einzelne Züge und Partien von NN- Engines ins Schwärmen kommen, über "Schach vom anderen Stern" und dergl., sollten sich mal überlegen, ob's nicht einfach auch die Erleichterung darüber ist, dass das, was man am Engine- Schach schon lange selbst als Meister einfach überhaupt nicht mehr verstanden hat, jetzt mit einem neuen Namen und neuen Evals allein schon ein perfekter Anlass ist, sich weniger dafür zu schämen, dass man's schon lange nicht mehr verstanden hat, weil's die Engines, die bisher dominiert haben, scheinbar plötzlich auch nicht mehr "verstehen" und endlich auch mal wieder hin und wieder verlieren, und sei's nur gegen andere Engines.
Und weil man NN- Schach sowieso überhaupt nicht mehr verstehen muss, weil's ja nicht einmal mehr die Programmierer wissen, wie's funktioniert, ist man als Mensch in seinem Stummstaunen nicht mehr so allein und kann wieder einfacher und unverschämter in Begeisterung ausbrechen. Machte man das bisher bei Engine- Zügen, musste man sich sagen lassen, man applaudiere einem Blechtrottel, jetzt applaudiert man Künstlicher Intelligenz, das ist doch gleich was Anderes.
Oder wie mein Schwager sagt, manch Einem würde ein bisschen künstliche Intelligenz ja wirklich nicht schaden.